Rußland. (Januar 23. Ende.) 271
heißt es in dem Artikel: „Der Zutritt zu den verbotenen Gärten mit den
geheimnisvollen Daostempelchen steht dem weißen Manne frei. Von den
hungernden Hündchen und Papageien des Hofes umgeben, warten die Eu-
nuchen vergeblich auf die Rückkehr der Herren und Gebieter. Sie werden
nicht kommen; sie haben ihre Blicke von dem geschändeten Peking abge-
wandt und hundertmal lieber wird ihnen ein abgelegenes Provinzial-
zentrum, wo es keine Streitigkeiten mit den Diplomaten im Tsungli-Yamen
gibt, wo kein Prinz Heinrich die seit unvordenklichen Zeiten bestehende Hof-
etikette zum Aergernis für den Pöbel verletzt, wo es dem Kaiser unbe-
nommen ist, den Anforderungen des grauen Altertums entsprechend, in-
mitten der unsichtbar zu ihm hinabfliegenden Schatten aller früheren Herr-
scher Chinas zum Himmel zu beten.“ Die Lage in Peking wird als sehr
ernst geschildert. Wie Leute, die dem Grafen Waldersee nahe ständen, ver-
sicherten, erkenne dieser selbst die Fruchtlosigkeit seines weiteren Verweilens.
Die kürzlich noch gut disziplinierten deutschen Soldaten würden immer
plünderungssüchtiger und der alte Feldmarschall könne selbst durch strenge
Strafen nicht helfen. Die letzten Phasen der ostasiatischen Politik erschienen
ihm als eine Verirrung; an Schantung und dem kostspieligen Kiautschon
habe Deutschland, nach seiner Ansicht, gerade genug, die Eroberung Pet-
schilis sei mehr als unerwünscht. Aber schwerlich werde man in dem auf-
geblasenen Berlin auf die Ratschläge des vielerfahrenen und scharfblickenden
Grafen Waldersee hören. Voller Empörung schreibt der Korrespondent
über die heuchlerische ausländische Presse, die über jede Kleinigkeit, die sich
ein russischer Soldat nach dem Kriegsrecht aneigne, ein Geschrei erhebe, bei
den Thaten der eigenen „Banditen und Piraten“ aber die Augen ver-
schließe. Nun schüttele Rußland allmählich den Staub von seinen Füßen
und entferne sich aus Petschili und ein wahrer Hexentanz ginge los; man
wirft uns vor, daß wir für die eigenen Interessen kein Verständnis hätten,
daß wir treubrüchig seien, mit den Chinesen geheime Vereinbarungen ge-
troffen hätten u. s. w. Man gebe zu verstehen, daß die Russen unter den
gebildeten Nationen die Rolle von Kulis zu spielen hätten. Europa —
dieser große Meister im Lügen und in der Verstellungskunst — sei es zu-
frieden, daß Rußland die undankbare Schwarzarbeit thäte, kaum aber nahe
der Augenblick der Bezahlung, so hieße es „der Mohr hat seine Schuldig-
keit gethan, der Mohr kann gehen“.
23. Januar. (Kiew.) Bestrafung unruhiger Studenten.
Wegen politischer Umtriebe unter den Studenten werden zwei der
Hauptschuldigen auf drei Jahre und fünf auf zwei Jahre zum Militärdienst
eingezogen. 176 haben ein Jahr der Militärpflicht zu genügen, während
209 einen strengen Verweis erhielten und für die Dauer eines Universitäts-
kurses der mit ihrem Stande verbundenen Vorteile verlustig erklärt wurden.
Ende Januar. (Moskau.) Aufrührerische Studenten er-
zwingen die Unterbrechung der Vorlesungen.
Ende Januar. Orthodoxie und Militärdienst.
Dem „Progres militaire" zufolge erläßt General Dragomirow fol-
gende Verfügung: „Es ist zu meiner Kenntnis gelangt, daß ein orthodoxer
Soldat verlangt hat, im Gliede nicht neben einen nicht orthodoxen rangiert
zu werden. Der Ausdruck solcher Empfindung kann nicht als eine Hand-
lung gegen die Disziplin erachtet werden, die die Ueberführung nach Si-
birien zur Folge haben würde. Man kann einem solchen Verlangen viel-
mehr sehr wohl das Ohr leihen. Es ist wahr, es ist nicht üblich, die Leute
nach ihrer Moral zu rangieren, aber es ist auch nicht gut, diese Rücksicht