4 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 8.)
Ziele der Weltpolitik auf Gegenden und Objekte, die sehr weit entfernt
von Deutschlands Grenzen liegen. Ich nenne in dieser Beziehung beispiels-
weise die Nordküste von Afrika, Persien und Ostasien. Wenn somit der
Dreibund nicht mehr eine absolute Notwendigkeit ist, so bleibt er doch im
höchsten Grade wertvoll als verstärkte Garantie für den Frieden und für
den Status quo, auch abgesehen davon, daß er ein sehr nützliches Binde-
glied ist zwischen Staaten, die durch ihre geographische Lage und ihre
geschichtlichen Traditionen angewiesen sind, auf eine gute Nachbarschaft zu
halten. Was uns angeht, damit will ich schließen, so müssen wir Deutsch-
land auch weiter so stark erhalten, daß, wie jetzt, unsere Freundschaft für
jeden wertvoll, unsere Feindschaft für niemanden gleichgültig ist. (Beifall.)
Am folgenden Tage polemisiert Abg. Bachem (3.) gegen die Ab-
sicht der Regierung, eine Anleihe zur Deckung laufender Bedürfnisse vor-
zuschlagen, da die Verfassung Anleihen nur für außerordentliche Bedürfnisse
kenne. Abg. Richter (fr. Vg.) kritisiert die Reichsfinanzverwaltung, die
unter dem Mangel eines Reichsfinanzministers leide. In den Forderungen
für die Kolonien und Marine müßten starke Abstriche gemacht werden.
Eine drohende Bier- und Tabaksteuer würde die Brau- und Tabakindustrie
in die tiefste Unruhe versetzen. Abg. v. Kardorff (RP.) bezweifelt die
Möglichkeit, diese Steuern durchzusetzen.
Am 10. Januar bedauert Abg. Bassermann (nl.), daß das Reich
ein lästiger Kostgänger der Einzelstaaten geworden sei. Neue indirekte
Steuern, wie der Schatzsekretär wünsche, seien überflüssig; diskutabel seien
Reichsvermögenssteuer und Reichserbschaftssteuer. Die Zerfahrenheit der
inneren Lage infolge übertriebener Forderungen der Hochschutzzöllner und
der Gegenpartei käme allein den Sozialdemokraten zu gute, denn ihnen
ersetze der Zolltarif ihr altes zerrissenes Programm. Abg. Liebermann
v. Sonnenberg (Antif.) bespricht den Burenkrieg und greift die englische
Regierung scharf an, Chamberlain sei der verruchteste Bube auf Gottes
Erdboden. Präsident Graf Ballestrem ruft den Redner zur Ordnung.
Reichskanzler Graf Bülow: Nachdem der Herr Präsident die parlamen-
tarische Zensur verhängt hat über eine Aeußerung des Herrn Vorredners,
gehe ich auf die von dieser Rüge getroffene Bemerkung nicht weiter ein.
Ich will nur sagen: ich glaube, ich befinde mich im Einklange mit der
sehr großen Mehrheit dieses Hauses, wenn ich der Hoffnung Ausdruck gebe,
daß sich nicht die Gewohnheit einbürgern möge, von der Tribüne des
Deutschen Reichstages aus fremde Minister zu beschimpfen. (Lebhafte Zu-
stimmung.) Es würde das weder den Gepflogenheiten des deutschen Volkes,
das ein gesittetes Volk ist, entsprechen (Wiederholte Zustimmung), noch den
Interessen unserer Politik. (Beifall.) Ich muß gleichfalls mein tiefes
Bedauern aussprechen über die Art und Weise, wie sich der Herr Vor-
redner ausgesprochen hat über das Heer eines Volkes, mit dem wir in
Frieden und Freundschaft leben. (Erneute Zustimmung.) Wenn wir em-
pfindlich sind für jeden Angriff gegen die Ehre unseres eigenen Heeres, so
dürfen wir auch nicht fremde Heere insultieren, in denen es auch Leute
gibt, die zu sterben verstehen. (Beifall.) Nun hat der Abg. Bassermann
seinem Befremden darüber Ausdruck gegeben, daß nicht irgend eine auto-
ritative Stimme, etwa die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, früher das
Wort ergriffen hätte, um gewissermaßen der öffentlichen Meinung und
unserer Presse die Wege zu weisen. Unsere Presse und unsere öffentliche
Meinung müßten auf einer niedrigen Stufe stehen, wenn sie in Fragen
der nationalen Ehre des Leitmotivs, der Parole von oben bedürften. Der
Wert einer großen Presse und einer nationalen öffentlichen Meinung be-
steht in der Freiheit ihrer Bewegung. Das Korrelat dieser Freiheit ist