Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11. 13.) 9
ist. Das kann auch gar nicht anders sein; denn je nach dem prinzipiellen
religiösen, politischen oder nationalen Standpunkt, mit dem man an die
Beurteilung der einzelnen geschichtlichen Tatsachen der Reformation heran-
tritt, wird sich auch die Gesamtbeurteilung der ganzen Zeitperiode ändern,
um die es sich hier handelt. Was von der Reformationsgeschichte gilt,
gilt in genau demselben Maße vom Mittelalter, wo die katholische Kirche
die gesamte gelehrte und gesamte kulturelle Bewegung ausschließlich be-
herrscht und getragen hat. Genau dasselbe gilt von dem christlichen Alter-
tum. Ich will das nicht weiter ausführen. Jedenfalls ist mit dem Satze:
„es gibt nur eine historische Wissenschaft“, für unsere Frage absolut nichts
bewiesen........ Was die Geschichtswissenschaft anlangt, so sind die katho-
lischen Dozenten in ihrer Forschung genau so frei, als die protestantischen
Dozenten. Es fällt der katholischen Kirche niemals ein und ist ihr nie-
mals eingefallen, dem Forscher, sei er katholisch oder protestantisch, irgend
welche Schranken in seiner historischen Forscherarbeit aufzuerlegen in bezug
auf diejenigen Tatsachen, welche er für wahr oder für unwahr erkannt
hat. Die katholische Kirche kann jede wirkliche Wahrheit ertragen, auch die
Wahrheit in der Tatsache, und der Standpunkt des gegenwärtigen Papstes
zu dieser Frage ist ja bekannt genug. — Das bisherige System in Straß-
burg sei der grundsätzliche Ausschluß aller Katholiken gewesen. Die Voraus-
setzungslosigkeit, die gegen die Neuerung anstürme, sei die völlige Ein-
sichtslosigkeit. — Am 14. Januar wird die Debatte hierüber wieder auf-
genommen. Abg. Sattler (nl.) betont, daß die katholischen Geschichts-
forscher nur das vortragen dürfen, was den Lehren der katholischen Kirche
entspricht. Wie schwer es aber den katholischen Gelehrten nur zu oft wird,
die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Forschungen mit den Lehren ihrer
Kirche zu vereinigen, das zeigt am besten eine Bemerkung der „Kölnischen
Volkszeitung“, wenn sie in einem Aufsatz über den jüngst verstorbenen
Professor Kraus wörtlich wie folgt äußert: „Es hat ihm mehr wie anderen
Forschern Zeit und Kämpfe gekostet, seine wissenschaftliche Ueberzeugung mit
dem als richtig erkannten Glauben in Einklang zu bringen.“ — Abg.
Bachem (Z.) tadelt von neuem, daß in Straßburg 25 Jahre lang ganz
unzweifelhaft nicht die wissenschaftliche Tüchtigkeit entscheidend war, sondern
die konfessionelle Zugehörigkeit, und zwar nach der Seite hin, daß man
nur Protestanten zugelassen hat. Ist denn die katholische Wissen-
schaft in Deutschland wirklich so minderwertig und rückständig, daß wir
alle nötig hätten, besonders auf unsere wissenschaftlichen Leistungen hinzu-
weisen? Der Abg. Sattler würde als früherer Historiker selbst am besten
wissen, daß die historische Wissenschaft in Deutschland gerade auf katho-
lischer Seite die hervorragendsten Leistungen aufzuweisen hat. Ebenso in
Oesterreich, ebenso in Frankreich.
11. Januar. Die Bayerische Abgeordnetenkammer be-
auftragt die Geschäftsordnungskommission auf eine Vereinfachung
der Geschäfte hinzuarbeiten, um die Sessionen abzukürzen.
13. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Polen-
frage. Programmrede Bülows.
Die nationalliberale Partei bringt eine Interpellation ein über die
in der Thronrede angekündigten Maßregeln zum Schutze des Deutschtums
im Osten. Die Polen und das Zentrum bringen eine Interpellation ein
über die Vorgänge in Wreschen (Jahrg. 1901 S. 169). Die Interpellationen
werden verbunden. — Abg. Hobrecht (nl.): Das deutsche Element im Osten
sei zurückgegangen. Trotz aller Rücksicht auf die Anhänglichkeit der Polen