Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

166 Deas Denisthe Reith und seine einjeluen Glieder. (November 19. —21.) 
Aus dem Landtage des Königreichs Sachsen sind die Sozialdemokraten 
infolge der Aenderung des Wahlrechts verdrängt worden. 
19./20. November. (Stuttgart.) Internationale Eisenbahn- 
beratungen. 
Bei der Generaldirektion der Staatseisenbahnen finden Verhand- 
lungen mit Vertretern italienischer Bahnen zum Zwecke der Erweiterung 
des direkten Personenverkehrs mit diesen Bahnen statt. An der Konferenz 
nehmen außer der italienischen Mittelmeerbahn und der Adriatischen Bahn 
verschiedene deutsche Eisenbahnverwaltungen, ferner die österreichische, die 
ungarische, die schweizerische und die französische Eisenbahnverwaltung teil. 
20. November. Der Reichstag genehmigt mit 145 gegen 
90 Stimmen § 10 a des Zolltarifs nach dem Beschlusse der Kom- 
mission. 
Es wird darin bestimmt, daß von dem auf Inkrafttreten des Zoll- 
tarifgesetzes folgenden 1. April ab für Rechnung von Kommunen und Kor- 
porationen Abgaben auf Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl und andere Mühlen- 
fabrikate, desgleichen auf Backwaren, Vieh, Fleisch, Fleischwaren und Fett 
nicht mehr erhoben werden dürfen. — Staatssekretär Graf Posadowsky 
und preußischer Minister des Innern v. Hammerstein erklären sich gegen 
den Antrag, weil er eine Verfassungsänderung enthalte und in die Landes- 
gesetzgebung eingreife. — Infolgedessen stimmen Konservative und National- 
liberale gegen den Antrag. 
A. November. (Reichstag.) Zentrumsanträge auf Ver- 
wendung der Mehrerträge des künftigen Tarifs. 
Das Zentrum beantragt, die Erträge einer Reihe von Tarifpositionen, 
soweit sie die Erträge der entsprechenden Zollsätze des geltenden Tarifs 
übersteigen, für die Durchführung einer Witwen= und Waisenversorgung 
nach einem spätestens am 1. Januar 1910 auf Grund eines vom Reichs- 
versicherungsamt auszuarbeitenden Gesetzes zu verwenden. Bis dahin sollen 
die Mehrerträgnisse angesammelt und verzinslich angelegt werden. Sollte 
aber ein Gesetz am 1. Januar 1910 nicht in Kraft treten, so sollen die 
Mehrerträge den einzelnen Invaliden-Versicherungsanstalten zur Witwen- 
und Waisenversorgung bei ihren Versicherten überwiesen werden. 
Abg. Rettich (kons.) beantragt für den Fall der Ablehnung des 
§ 118 eine Resolution, welche die Regierung zu Maßnahmen im Sinne 
des § 11 a auffordert. 
Abg. Albrecht (Soz.) und Genossen beantragen, neben redaktio- 
nellen Aenderungen und Vermehrung der Zolltarifpositionen, deren Er- 
trägnisse zur Witwen= und Weisenversicherung verwendet werden sollen, 
nicht nur das Mehrerträgnis, sondern die sämtlichen Erträgnisse zur 
Witwen= und Waisenversicherung zu verwenden. Sie soll mit dem Zoll- 
tarifgesetz selbst zu gleicher Zeit in Kraft treten. 
Abg. Trimborn (3.): Der Zentrumsantrag zieht die Konsequenz 
aus der Erklärung des Reichskanzlers vom 4. Mai 1901, wonach die Zoll- 
erträge zu Gunsten der ärmeren Bevölkerung verwendet werden sollen. 
Die Witwen= und Waisenversorgung sei eine nationale Ehrenpflicht. Abg. 
Rösicke-Dessau (wild): Die Witwen= und Waisenversicherung sei ein 
Dangergeschenk, wenn man sie an die Erhöhung der Zölle knüpfen wolle; 
sie würden der Familie einen Mehraufwand von 604 jährlich veran- 
lassen. Es sei unsinnig, bei dem großen Fehlbetrag in den Reichsein-
	        
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