Das Nesche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 25.—27.) 169
in Euerem Herzen ist nicht erloschen. Mit Stolz habe Ich im Auslande
überall durch Euerer Hände Werk den Namen unseres deutschen Vater-
landes verherrlicht gesehen. Männer, die die Führer der deutschen Arbeiter
sein wollen, raubten Euch Eueren teuren Herrn. An Euch ist es, die Ehre
Eueres Herrn zu schirmen und zu wahren und sein Andenken vor Verun-
glimpfungen zu schützen. Ich vertraue darauf, daß Ihr die rechten Wege
finden werdet, der deutschen Arbeiterschaft fühlbar und klar zu machen,
daß weiterhin eine Gemeinschaft oder Beziehungen zu den Urhebern der
schändlichen Tat für brave, ehrliebende deutsche Arbeiter, deren Ehrenschild
befleckt ist, ausgeschlossen ist. Wer nicht das Tischtuch zwischen sich und
diesen Leuten zerschneidet, legt moralisch gewissermaßen die Mitschuld auf
sein Haupt. Ich hege das Vertrauen zu den deutschen Arbeitern, daß sie
sich der vollen Schwere des Augenblicks bewußt sind und als deutsche
Männer die Lösung der schweren Frage finden.
25./26. November. (Reichstag.) Anfangstermin des künf-
tigen Tarifs. Haltung des Zentrums.
Unter Ablehnung zahlreicher sozialdemokratischer Einzelanträge
werden die §§ 11 und 12 beraten. § 12 bestimmt den Zeitpunkt, an dem
der neue Tarif in Kraft treten soll. Nach der Regierungsvorlage soll der-
selbe durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates be-
stimmt werden. Die Kommission hat beschlossen, daß das Gesetz und mit
ihm der Tarif spätestens am 1. Januar 1905 in Kraft treten soll. Abg.
Dr. Paasche (ul.) beantragt Wiederherstellung der Regierungsvorlage. —
Die Sozialdemokraten beantragen, den Zeitpunkt des Inkrafttretens durch
ein besonderes Gesetz zu bestimmen, eventuell soll die Regierungsvorlage
wieder hergestellt werden.
Abg. Dr. Paasche (ul.): Ein fester Termin würde den Abschluß
der Handelsverträge verhindern oder hinausschieben, denn die Vertreter
der anderen Staaten würden nicht vor dem letzten Termin zustimmen.
Staatssekretär Graf Posadowsky: Der Kommissionsbeschluß sei für die
Regierung unannehmbar. Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.): Um
gute Handelsverträge zu erhalten, dürfe man sich auch nicht vor einem
Zollkrieg scheuen. Abg. Spahn (3.): Das Zentrum habe sich entschlossen,
den Kommissionsbeschluß aufzugeben, um das Zustandekommen des Gesetzes
und den Abschluß von Handelsverträgen zu erleichtern. — Der Antrag
Paasche wird mit 196 gegen 76 Stimmen angenommen.
Die Zentrumserklärung wird vielfach als erster Schritt zur allge-
meinen Verständigung zwischen Regierung und Mehrheit angesehen.
26. November. (Bayern.) Justizminister v. Leonrod tritt
nach 51jährigem Staatsdienst zurück. Sein Nachfolger wird der
Reichsgerichtsrat Miltner.
27. November. Verständigung zwischen der Regierung und
den Mehrheitsparteien über den Zolltarif.
Die Vertreter der Regierung und der konservativen, nationallibe-
ralen und Zentrumspartei kommen überein, in den Sätzen für Brotgetreide
und Hafer die Vorschläge des Regierungsentwurfs wiederherzustellen, für
Braugerste wird der Minimalsatz der Regierung von 3 ¾ auf 4 erhöht.
Die Mehrheitsparteien verzichten auf die Mindestzölle auf Vieh und Fleisch:
die Regierung acceptiert den Zentrumsantrag über die Verwendung der
Mehrerträge für Witwen= und Waisenversicherung und ist einverstanden
mit den in der Kommission und in zweiter Lesung vom Reichstag ange-