206 Bie Ssterreichisch-ungarische Monarchie. (Oktober 28.—November 20.)
Vorlage ein, die jährliche Rekrutenziffer um 20 000 Mann durch
Heranziehung aus der Ersatzreserve zu vermehren.
28. Oktober. (Cisleithanien.) Im Abgeordnetenhause
wird der Landarbeiterstreik in Galizien besprochen; deutsche und
sozialdemokratische Abgeordnete kritisieren scharf die wirtschaftliche
Ausbeutung der Arbeiter durch die polnischen Grundbesfitzer.
Ende Oktober. (Niederösterreich.) Bei den Landtags-
wahlen erringen die Christlich-Sozialen die große Mehrheit.
11.|/13. November. (Cisleithanien.) In einer Diskussion
der Sprachenfrage empfiehlt Ministerpräsident v. Körber den Deut-
schen und Tschechen dringend eine Verständigung, da Osterreich
kein nationaler Staat sein könne. — Während der Beratungen
kommt es zu Zusammenstößen zwischen Deutschen und Tschechen.
15. November. (Cisleithanien.) Der kTschechenklub er-
widert auf den Sprachenentwurf des Ministerpräsidenten:
In Erwägung, daß das schwere am tschechischen Volk verübte Un-
recht nicht gesühnt worden ist, in der weiteren Erwägung, daß die sprach-
lichen Grundsätze, anstatt die angetane Unbill gutzumachen, noch den
Deutschen in ihrer unberechtigten und dem Staate gefährlichen Forderung
nach gesetzlicher Festlegung der deutschen Staatssprache entgegenkommen
und hiermit den Beweis erbringen, daß die gegenwärtige Regierung den
berechtigten Ansprüchen des tschechischen Volkes nicht nachkommen kann
oder nicht nachkommen will, erklärt der Klub, daß er gegen die gegen-
wärtige Regierung den schärfsten Kampf mit allen im Wiener Parlament
üblichen Mitteln eröffnen wird.
20. November. (Cisleithanien.) Die deutsch-böhmischen
Abgeordneten des Reichsrats, ausgenommen die Alldeutschen, er-
klären sich zu Verhandlungen mit den Tschechen bereit, um Grund-
lagen für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments und den Sprachen-
frieden in Böhmen zu schaffen.
20. November. (Ungarn.) Abgeordnetenhaus. Minister-
präsident v. Szell legt infolge von Angriffen der Opposition den
Stand der österreichisch-ungarischen Zollfrage dar:
Es sei eine vollkommen willkürliche Auslegung der bezüglichen Ab-
machungen, wenn die Opposition behaupte, daß der gemeinsame Zolltarif
bis Ende 1902 unbedingt erledigt sein müsse, und daß Ungarn, falls das
nicht geschehe, den Bruch der Reziprozität zu konstatieren und zur Er-
richtung eines selbständigen Zollgebiets zu schreiten habe. Ebenso sei die
Behauptung der Opposition unrichtig, daß er (Szell) für seine Person die
Verpflichtung übernommen habe, Ende 1902 von dem Rechte Ungarns, die
Handelsverträge zu kündigen, unbedingt Gebrauch zu machen. Die Ver-
pflichtung, einen gemeinsamen Zolltarif mit Oesterreich zu vereinbaren, sei
nicht an kalendarische Termine gebunden; das Gesetz schreibe bloß vor, daß
ein neuer austro-ungarischer Zolltarif vor dem Beginn der Verhandlung