208 Bie österreichisch ungarische Monarchie. (Dezember 8.)
mag die Masse ihrer Geschäfte nicht zu erledigen, zumal da sie ungefähr
90 Bezirkshauptmannschaften als unterste Instanzen der Verwaltung zu
überwachen und zu leiten hat. Die Uebelstände, die aus der Masse der
Geschäfte bei der böhmischen Statthalterei entspringen, wachsen mit jedem
Jahre, und daher rät die deutsche Denkschrift, das Land in Kreise zu zer-
legen und diese sprachlich nach Möglichkeit abzugrenzen. Die Statthalterei
soll an ungefähr 10 Kreisregierungen einen Teil ihrer Befugnisse abgeben
und ebenso der Landtag und der autonome Landesausschuß an die zu
wählenden autonomen Kreisvertretungen. Um aber die Doppelverwaltung
zu verhindern, die sich jetzt zwischen die Statthalterei und die Landesaus-
schüsse der österreichischen Kronländer störend stellt, sollen die Kreisregie-
rungen und die Kreisvertretungen einen Teil ihrer Agenden gemeinsam
erledigen. Ist die nationale Abgrenzung erfolgt, so ergibt sich die Rege-
lung der Sprachenfrage ohne allzugroße Schwierigkeiten. Die Deutschen
verlangen für ihr Gebiet die deutsche Amtssprache, während sie den Tschechen
in dem ihrigen ihre Muttersprache gönnen. Hierbei machen die Deutschen
das Zugeständnis, daß Eingaben in beiden Sprachen bei jedem Amte des
Königreiches angenommen werden können, während sie noch in ihrem be-
kannten Pfingstprogramm von 1899 tschechische Eingaben in deutschen Be-
zirken nur in deutscher Sprache erledigt wissen wollten. Hiermit wäre
einer der wichtigsten Streitpunkte abgetan. Was die Einführung der inneren
tschechischen Amtssprache betrifft, so wollen die Deutschen taxativ aufgezählt
haben, wie weit dieselbe zu gelten hat. Als Regel soll die deutsche Amts-
sprache dienen. („Allg. Ztg.“)
Die alldeutschen Abgeordneten lehnen die Zustimmung zu diesem
Programm ab, weil sie den Standpunkt einnehmen, „daß mit der gesetz-
lichen Festlegung der deutschen Sprache als Staatssprache, die sie zur
Sicherung der führenden Stellung unseres Volkes in Oesterreich und zur
Wahrung des deutschen Charakters unseres Staates fordern, die Einführung
einer inneren tschechischen Amtssprache in direktem Widerspruche steht und
unter keiner Bedingung zuzugeben sei“.
Die Tschechen erwidern, vor jeder Verständigung müßten die Deut-
schen die Ansicht aufgeben, daß die Bewilligung der tschechischen Amtssprache
als Konzession der Deutschen zu betrachten sei. — Die Antwort wird von
den Deutschen als Ablehnung aufgefaßt.
6. Dezember. (Ungarisches Abgeordnetenhaus.) Mi-
nisterpräsident v. Szell erklärt auf eine Anfrage über die Kün-
digung des deutschen Handelsvertrags und das Verhältnis zu Öster-
reich (vgl. S. 206):
Es ist sehr schwer, sich zu dieser Frage zu äußern, deren Erörterung
die größte Umsicht und Behutsamkeit erfordert. Man kann von seinem
Platze aus nicht definitiv Stellung nehmen, wenn man nicht der voll-
endeten Tatsache gegenübersteht. Da Deutschland wichtige Entschlüsse vor-
bereitet und der Termin naht, in welchem von dem Kündigungsrecht Ge-
brauch gemacht werden kann, ist es äußerst dringend, daß wir unser wirt-
schaftliches Verhältnis zu Oesterreich klären. Ich bin bemüht, daß diese
Angelegenheit bald dem Abgeordnetenhause unterbreitet wird, und ich werde
dafür sorgen, daß wir nicht ohne Wehr und Waffen bleiben. Ich werde
danach trachten, daß der autonome Zolltarif so bald als möglich zustande
kommt, damit die internationalen Verhandlungen beginnen können. Ich
erörtere jetzt nicht den deutschen Zolltarif und beschränke mich darauf, zur
Beruhigung unserer Abgeordneten zu erklären, daß unser neuer Zolltarif