Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Großbritannien. (Januar 16.) 215 
absurd, wenn man nicht anerkennen wollte, daß der Kampf der Buren 
und Briten um die Oberherrschaft in Südafrika schon lange, bevor wir 
unser Amt übernahmen, begann. Das sind gewichtige Leistungen auf fried- 
lichem Gebiete. Wenn wir auch außer stande waren, das Vorurteil auf 
dem Kontinente zu beseitigen, welches stets bestanden, wenn auch niemals 
in gröblicherer Form zum Ausdruck gekommen war, so haben wir doch 
auf jeden Fall einige wesentliche Differenzpunkte erledigen können. Aber 
wir haben noch mehr getan, noch wichtigeres, als das Wohlwollen der 
fremden Nationen für uns bedeutet, wenngleich ich dessen Wert damit nicht 
herabsetzen will: Was mehr Wert hat, ist die Zuneigung und das Vertrauen 
unserer Verwandten jenseits der Meere. Trotz der schweren Verluste hat 
der Krieg dazu gedient, zu zeigen, daß, wenn wir wieder einmal zu kämpfen 
haben um unsere Existenz gegen eine Welt in Waffen, wie schon einmal, 
daß wir dann nicht allein stehen. Es kann kaum ein Opfer zu groß er- 
scheinen für das Ergebnis, daß wir uns zur Höhe des Imperiums erheben 
können, welches nicht an die Grenzen des Vereinigten Königreiches ge- 
bunden ist, sondern jeden Mann britischer Rasse in jedem Teile der Erd- 
kugel umfaßt. Das ist der Imperialismus, um dessentwillen ich von jedem 
patriotischen Briten Unterstützung verlange." 
Mitte Januar. Die Erklärungen des Grafen Bülow (S. 1) 
über die englische Armee und die Außerung Chamberlains werden 
von der Regierungspresse im allgemeinen ungünstig kommentiert. 
Die Angriffe auf Chamberlain hätten seine Stellung befestigt, die 
Unfreundlichkeit Bülows erschwere eine deutsch-englische Freundschaft. 
16. Januar. (London.) Der König eröffnet das Parlament. 
In der Thronrede heißt es: Meine Beziehungen zu den anderen 
Mächten sind andauernd freundschaftlicher Art. Ich bedaure, daß der Krieg 
in Südafrika immer noch nicht beendet ist, obwohl sich der Gang der Ope- 
rationen günstig für unsere Waffen gestaltete. Der Schauplatz des Krieges 
ist erheblich kleiner geworden. Die Industrie wird in Meinen Kolonien 
wieder aufsgenommen. Trotz des ermüdenden Charakters des Kampfes 
zeigten die Soldaten durchweg Freudigkeit in der Ertragung der Be- 
schwerden der Guerilla-Kriegführung und Humanität in der Behandlung 
des Feindes, sogar zu ihrem eigenen Schaden. Dies verdiene das höchste 
Lob. Die Notwendigkeit, diejenigen Truppen, welche am meisten den Be- 
schwerden des Krieges ausgesetzt waren, ablösen zu lassen, gab mir Ge- 
legenheit, wiederum von den loyalen und patriotischen Anerbietungen der 
Kolonien Gebrauch zu machen. Neue Kontingente aus Canada, Australien 
und Neuseeland werden bald in Südafrika eintreffen. Auf Einladung des 
Königs der Belgier ist die internationale Konferenz zur Beratung über die 
Zuckerprämien vor kurzem in Brüssel zusammengetreten. Ich hege die 
Zuversicht, ihre Entscheidung werde zum Verlassen eines Systems führen 
können, durch welches die Zucker erzeugenden Kolonien und die Fabrikanten 
im Mutterlande beim Betriebe dieses höchst wichtigen Industriezweiges in 
unbilliger Weise belastet wurden. Die Thronrede erwähnt dann den Ver- 
trag mit den Vereinigten Staaten betr. die Erbauung eines interozeanischen 
Kabels unter der Bürgschaft, daß dessen Neutralität aufrecht erhalten bleibt 
und der Kanal dem Handel und der Schiffahrt aller Nationen offen steht. 
Die Thronrede berichtet sodann über den Abschluß eines Vertrages mit 
Brasilien über die schiedsgerichtliche Entscheidung von Fragen betreffend 
die Grenze von Guayana und bemerkt, mit großer Freude teile der König
	        
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