Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Großbritannien. (März 4.) 221 
Augenblick gehe im Westen Irlands eine höchst gefährliche Neubildung ge- 
heimer Gesellschaften vor sich: wenn die Regierung die Vereinigte Frische 
Liga unterdrücke, so würde das einfach für die geheimen Gesellschaften das 
Signal sein, daß die Zeit gekommen sei, um wieder eine Schreckensherr- 
schaft einzuführen, wie sie in vergangenen Zeiten in Irland bestanden habe. 
Eine gründliche Agrarreform würde der jetzigen unversöhnlichen politischen 
Bewegung die Spitze abbrechen. Das Heilmittel sei: Expropriierung der 
englischen Großgrundbesitzer durch den Staat und allmähliche Umwandlung 
den irischen Farmer in Eigentümer des Landes. In leidenschaftlicher Ent- 
rüstung stellt Mr. Russel die Frage: „Wie lange soll es noch dauern, daß 
Tausende und aber Tausende menschlicher Wesen aus einem kleinen Stückchen 
Land mühsam ihren Lebensunterhat zusammenkratzen müssen, daß sie in 
Häusern wohnen, die armseliger sind als Kaffernhütten und die schlechter 
genährt und gekleidet sind als Armenhausbewohner in England?“ 
4. März. (Unterhaus.) Debatte über die Konzentrations- 
lager. (Vgl. Staats--Archiv Bd. 66.) 
Auf Angriffe der Opposition, daß in den Konzentrationslagern zu 
große Sterblichkeit herrsche, erwidert Kolonialminister Chamberlain: 
Die Sterblichkeit habe schnell abgenommen. Er bedauere die Sterblichkeit, 
die aufgetreten sei, drücke jedoch die Ueberzeugung aus, daß jede andere 
Politik, als die von der Regierung befolgte, eine vermehrte Sterblichkeit 
zur Folge gehabt haben würde. Niemals in der ganzen Weltzeschichte 
seien so gewaltige Anstrengungen gemacht worden, die Schrecken des Krieges 
auf das kleinste Maß zu beschränken. Die Kosten für die Konzentrations- 
lager betrügen 180000 Pfd. Sterl. monatlich. Als der Guerillakrieg be- 
gonnen habe, habe Lord Kitchener sich erboten, die Frauen auf den Farmen 
zu belassen und sogar mit Lebensmitteln zu versehen, wenn General Botha 
ihnen erlaubte, den Neutralitätseid zu leisten. Botha habe das abgelehnt, 
und diese Politik sei von den Buren weiter befolgt worden bis zu den 
letzten Stadien des Krieges. 
4. März. (Unterhaus.) Bei der Beratung des Kriegs- 
budgets sagt Kriegsminister Brodrick über die Rekrutierungsfrage: 
Die Rekrutierung des letzten Jahres ergab nur 45 000 Mannz; offen- 
bar langte England an der Grenze der Rekrutierungsmöglichkeit an; nach 
dem gegenwärtigen System bestehe aber keine Aussicht auf Verminderung 
des Heeres. Indien werde aber eher mehr als weniger Truppen erfordern 
und in Südafrika müsse noch längere Zeit jede erforderliche Truppenmenge 
unterhalten werden. Künftig solle der aktive Dienst drei, der Reservedienst 
neun Jahre dauern und die Löhnung von zehn Pence auf einen Schilling 
erhöht werden. Die Soldaten in Indien und den Kolonien sollen wählen 
können. ev. acht Jahre aktiv und vier Jahre Reserve zu dienen; im letzteren 
Falle würden sie 1½ Schilling erhalten. Nötig zur Fortführung der 
gegenwärtigen Heeresstärke seien 50000 Rekruten; ferner sei erforderlich 
eine Reserve von 150000 bis 175.000. Die Kosten des neuen Planes betragen 
für Großbritannien 1048.000 und für Indien 786000 Pfd. Sterl. jährlich. 
Bei der Miliz, YDeomanry und den Volunteers soll eine Reserve errichtet 
und die Schulung der Offiziere und Mannschaften verbessert werden. 
Wenn die Minister zur Königkrönung eintreffen, werden ihnen die Pläne 
der Regierung, betreffend die militärischen Verpflichtungen der Kolonien 
mitgeteilt werden, welche die verschiedenen Teile des Reiches enger an- 
einander knüpfen würden. England sei entschlossen, daß das Heer aus dem 
gegenwärtigen Kriege schlagfertiger als zuvor hervorgehen müsse. Ob der 
 
	        
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