Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 15 
werden wir Ihre Genehmigung für eine Vorlage zur Bewilligung weiterer 
und noch reichlicherer Mittel erbitten. Wir werden neue Ansiedler schaffen 
und die bestehenden in ihrem Besitz- und Nahrungsspielraum stärken, wir 
werden jede Bestrebung zur Stärkung des deutschen Bauernstandes daselbst 
fördern, die Bildung von Genossenschaften, von Kreditvereinen, die För- 
derung der Landeskultur, die Hebung des Verkehrs und der Produktion. 
Von wesentlicher Bedeutung ist in denjenigen Provinzen naturgemäßer- 
weise der Großgrundbesitz, die Hebung der Art der Selbstverwaltung. In 
der Provinz Posen ist etwas über die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche 
in den Händen des Großgrundbesitzes, in dieser Provinz aber ist der Ein- 
fluß des Großgrundbesitzes in wirtschaftlicher und kultureller Beziehung 
verhältnismäßig gering. Der Grund liegt darin, daß der größere Teil 
des Großgrundbesitzes in Händen von Leuten ist, die außerhalb Posens 
wohnen. Der Besitz hat seit dem vorigen Jahrhundert sehr stark gewechselt. 
Wir werden den Großgrundbesitz zu stärken suchen durch Vermehrung des 
staatlichen Domänenbesitzes und durch die Gründung von Fideikommissen 
und Majoraten (Hört, hört!) und dadurch, daß wir seine wirtschaftliche 
Leistungsfähigkeit stärken. (Erneuter Beifall.) Damit muß Hand in Hand 
die staatliche Fürsorge für die Städte des Ostens gehen, damit sie zu einem 
Mittelpunkt des deutschen Lebens und der Kultur ausgestaltet werden. 
Dann muß das deutsche Bürgertum gekräftigt und ein tüchtiger deutscher 
Mittelstand geschaffen werden, der der Polonisierung einen unübersteiglichen 
Damm entgegensetzt. (Lebhafter Beifall.) Es wird sich hier namentlich 
um die Hebung und Unterstützung der deutschen Handwerker und Klein- 
gewerbetreibenden handeln, um die Förderung des Fortbildungsschulwesens, 
um die Schaffung deutscher Vereine als Sammelpunkt der deutschen Be- 
wegung. Von großer Bedeutung wird auch die Belegung der Städte mit 
deutschen Garnisonen sein, und ich bin in der erfreulichen Lage, mitzu- 
teilen, daß der Kaiser und König durch eine Kabinetsordre vom 2. Januar 
verfügt hat, daß Wreschen und Schrimm je ein Bataillon Infanterie als 
Garnison erhalten. Im großen und ganzen glaube ich, unsern deutschen 
Beamten im Osten das Zeugnis ausstellen zu können, daß sie sich durch 
Pflichttreue, Gewissenhaftigkeit und Hingabe an die anvertraute Stellung 
auszeichneten. Aber nach meiner Auffassung — ich nehme keinen Anstand, 
das hier auszusprechen und aus dieser Auffassung die Konsequenzen zu 
ziehen — nehmen unsre Beamten in den östlichen Provinzen eine besonders 
ehrenvolle, aber auch besonders verantwortliche Stellung ein, und wir 
dürfen dort nur solche Beamten dulden, die sich auch dieser Verantwortung 
immer bewußt sind. (Lebhafter Beifall.) Diese Beamten müssen sich nach 
meiner Auffassung dort im Osten nicht etwa bloß als Bureaukraten, als 
Mandarinen aufspielen, sondern sie sollen da als Menschen unter Menschen 
leben, sie sollen sich an der Gesellschaft beteiligen und mit den Menschen 
verkehren, ohne jeden Unterschied des Standes. Ich betrachte eine An- 
stellung in den östlichen Provinzen als ehrenvoll für jeden Beamten, als 
eine Auszeichnung, als eine Anwartschaft auf Beförderung. Wir werden 
aber nur solche Beamte wählen, die sich ihrer Verantwortung auch bewußt 
sind, die Erfahrung über Land und Leute gewinnen und dorthin sich auf 
längere Zeit begeben. (Beifall.) Gerade im Osten müssen wir die Be- 
amten im Hinblick auf die Kontinuität der Verwaltung anstellen. Aber 
andrerseits müssen wir diese Beamten auch entsprechend stellen und sorgen, 
daß ihnen ihr schwieriger Dienst erleichtert wird, wir müssen für Dienst- 
wohnung und Logis sorgen, da es im Osten vielfach gerade an geeigneten 
Wohngelegenheiten fehlt. Wir werden die Bestrebungen der Beamten 
unterstützen, im Wege der Genossenschaften sich Wohnungen zu ver- 
 
	        
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