Greßbritannien. · ( November 10.) 233
Reiches wurden. Neben den materiellen seien aber auch moralische Schwierig-
keiten vorhanden, ja diese letzteren seien sogar die bedeutungsvolleren. Er
zweifle nicht, daß die wichtige Aufgabe, die früheren Gegner zu versöhnen,
erfolgreich durchgeführt werden würde. Unter allen glücklichen Momenten,
welche Chamberlains Verwaltung des Kolonialamtes zu einer der größten
in der britischen Geschichte machen, glaube er kaum einen glücklicheren finden
zu können als den Gedanken eines persönlichen Besuches in Südafrika, um
an Ort und Stelle über die vielen Probleme zu urteilen, mit denen sich
England beschäftige. Die Kolonien wüßten jetzt, daß England die fähigsten
seiner Söhne aussende, um persönlich die Probleme zu behandeln, an denen
das Mutterland und die Kolonien gleicherweise interessiert seien. Er hoffe,
daß schließlich ein nicht bloß durch Gesetze und Gefühle gebildetes Band
zwischen England und seinen Kolonien bestehen werde, sondern eine Art
konstitutioneller Union für Angelegenheiten gemeinsamen Interesses gefunden
werden möge. Doch würde derjenige Staatsmann der Uebereilung zu
zeihen sein, der gegenwärtig schon eine so riesenhafte Aufgabe durchführen
wollte. Inzwischen hoffe er auf eine engere fiskalische Verbindung mit den
Kolonien. Er hege die Zuversicht, Chamberlains Besuch werde große Frucht
in nicht ferner Zukunft tragen. Er sehe auf die kolonialen Probleme mit
hoffnungsvollem Auge und sehe seine unüberwindliche Schwierigkeit. Warmes
Lob zollt der Premier sodann dem patriotischen Geist, der in letzter Zeit
von Canada, Australien und Neuseeland und den anderen großen Besitzungen
bewiesen worden sei. Von den auswärtigen Beziehungen könne er mit
nicht geringerer Befriedigung sprechen. „Im allgemeinen fühle ich mich
etwas schüchtern, über die auswärtigen Angelegenheiten zu reden, weil ich
bemerkte, daß der Besuch eines großen, freundlich gesinnten Souveräns bei
seinem nächsten Verwandten zum Text gemacht wurde für die wildesten
und phantastischsten Empfindungen, welche, wie ich denke, selbst eine er-
findungsreiche Presse je entdeckte. Ich habe Ihnen nichts zu sagen über
diese eingebildeten Verhandlungen und sonderbaren Handelsgeschäfte, über
die allerlei Gerüchte auswärts verbreitet sind.“ Die Angelegenheit des
Somali-Landes habe für das Reich keine sehr große Bedeutung, sie liege
vielmehr außerhalb der ganzen Bahn der britischen Entwicklung und sei
vielleicht nur deshalb gegenwärtg von so großem Interesse, weil sie das
freundschaftliche Empfinden Italiens für England in helles Licht gerückt
habe und die Bereitwilligkeit zeige, mit welcher Italien für die gemein-
samen Interessen mitarbeite. In Ostasien habe England große Erfolge er-
rungen: Lord Lansdowne habe die Geschicklichkeit besessen, einen Handels-
vertrag mit China zustande zu bringen, sowie auch ein Bündnis mit Japan,
womit er den Interessen des internationalen Friedens und des Handels
große Dienste leistete. — Jede Macht Europas wünsche den Frieden. „Man
sagt, wir seien Gegenstand des allgemeinen Mißtrauens und der Abneigung
unter unseren Nachbarn. Ich weiß nicht, ob es so ist; es ist außerordent-
lich schwer, die Empfindungen großer Gemeinwesen einzuschätzen; aber wenn
dem so ist, so mag die Ursache wahrscheinlich in dem letzten Kriege liegen,
und wenn es so ist, so werden diese Empfindungen schwinden mit der Ur-
sache, die sie geboren. Die Vorurteile werden dann schwinden, die un-
ruhige See wird wieder ruhig werden. Aber es mag auch sein, daß der
Burenkrieg nur eine Ausrede, nicht die Ursache war. Und wenn dem so
ist, so beklage ich es doch nicht, denn dann sind wir nicht die Hauptleidenden.
Aber ich denke, es ist ein großer Verlust für die internationale Zivilisation,
wenn die Empfindungen lebendig bleiben dürften. Es gibt kein Gefühl,
das die europäischen Staatsmänner sorgsamer pflegen sollten, als den Geist
der internationalen Toleranz, Freundschaft und Liebe. Es handelt sich