Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 17
titel an unseren östlichen Provinzen mit dem Schwerte erobert auf den
Schlachtfeldern von Möckern, Dennewitz und Waterloo, wir haben sie in
harter Arbeit kolonisiert und zu ihrer Einverleibung in das preußische
Staatsgebiet die völkerrechtliche Sanktion erhalten. Unser Recht an diesen
Provinzen ist ebenso geheiligt wie das anderer Völker an ihrem Besitz-
stande. Niemand denkt daran, anderen Staaten zuzumuten, frühere Er-
oberungen preiszugeben oder aufzugeben oder fremden Nationalitäten zu-
zumuten, daß sie etwas gestatten, was mit dem Interesse ihrer Staats-
einheit im krassesten Widerspruch steht. Nur uns Deutschen werden manchmal
solche Zumutungen gestellt; das ist eine gute, alte Gewohnheit anderer.
Sie werden unsere Konnivenz verstehen, wenn Sie an die Demon-
strationen zurückdenken, die hier an der Universität Berlin, in der Haupt-
stadt des Landes von polnischen Studenten gegen einen deutschen Professor
der Geschichte hervorgerufen worden, weil er die Geschichte der polnischen
revolutionären Bewegung in einer den Herren nicht genehmen Weise vor-
getragen hat. Ich möchte einmal wissen, was sich ereignet hätte, wenn
diese Demonstrationen in Paris, Orxford, Pavia, oder sagen wir auch in
Lemberg oder Krakau geschehen wären, wenn ein englischer, französischer,
italienischer oder polnischer Professor die Geschichte seines Volkes von
seinem Standpunkt vorgetragen hätte. Es sind sogar geschichtliche Tat-
sachen, auf die man sich hiebei berufen kann. Würden wir die politischen
Forderungen hinsichtlich Posens und Westpreußens bewilligen, so würde
man die Hände nach Schlesien und Ostpreußen ausstrecken. Ich entsinne
mich eines kleinen persönlichen Erlebnisses, das mir ein Freund erzählte;
er hatte in Zürich eine Unterredung zwischen dem deutschen Dichter Kinkel
und dem polnischen Grafen Platen, der allerdings mehr Dichter als Poli-
tiker war. Kinkel machte in dieser Unterredung schließlich eine Konzession
nach der anderen, bis er in den schmerzlichen Ruf ausbrach: Aber Königs-
berg am Pregel, das sollten Sie uns doch wenigstens lassen. (Große
Heiterkeit.) Aber das ist lange her. Daß die polnischen Ansprüche seitdem
noch gestiegen, kann ich beweisen. (Widerspruch und Sehr richtig!) Ich
werde mir gestatten, einen Passus vorzulesen aus einem Lemberger Blatt.
Der Abg. v. Jazdzewski möge mich nicht falsch verstehen, ich zweifle nicht
an der Loyalität der polnischen Mitglieder dieses Hauses, aber ich möchte
Sie dringend bitten, ebensowenig an der Illoyalität der großpolnischen
Agitation zu zweifeln. In dem betreffenden Artikel heißt es: „Wir müssen
nicht nur mit Preußen, sondern mit ganz Deutschland, nicht mit einzelnen
Parteien, sondern mit der ganzen deutschen Gesellschaft einen Kampf auf
Leben und Tod führen. Das Lebensinteresse beider Nationen kommt hier
in Betracht, wir müssen uns im Rahmen der deutschen Verfassung, so
lange es möglich ist, bewegen. Ohne Königsberg und Danzig könnte das
künftige Polenreich nicht bestehen. Von einem Kompromiß in der Sache
kann bei uns keine Rede sein. Wir müssen fest und stets daran glauben,
daß Polen zur Wiedergewinnung der Provinzen Posen und Schlesien die
nötigen Schritte tun muß.“ Diese Maßlosigkeit in der politischen Be-
wegung müssen wir mit unbeugsamer Energie bekämpfen, wir müssen alles
tun, was geeignet ist, das Deutschtum im Osten zu stärken. (Beifall.) Ich
will nicht schließen, ohne einen Appell zu richten an die deutsche Bevöl-
kerung in den gemischtsprachigen Gegenden und sie aufzufordern zu Mut
und Einigkeit. Als preußischer Ministerpräsident erkläre ich, daß unsere
Ostmarken-Politik die nationalen Geleise nicht verlassen wird, die ihnen
der größte deutsche Staatsmann, Fürst Bismarck, vorgezeichnet hat. (Leb-
hafter Beifall.) In Wankelmut und Nachgiebigkeit werden wir nicht ver-
fallen. Wir werden aber die Gefahr im Osten nur dann abwehren können,
Europäischer Geschichtskalender. XLIII. 2