242 Frankreich. (Juni 18.—Juli 3.)
barkeit auf den Grundlagen der modernen Gesetzgebung aufzubauen, und
daß sie sich mit der Frage des Ankaufes von Eisenbahnen und mit der
Altersversicherung der Arbeiter beschäftigen werde.
Am 13. Juni spricht die Kammer mit 329 gegen 124 Stimmen der
Regierung ihr Vertrauen aus, in der Ueberzeugung, daß sie eine kräftige
Politik, die Verweltlichung des Schulwesens, Reform des Steuerwesens
und soziale Solidarität verfolgen werde.
18. Juni. (Senat.) Debatte über die zweijährige Dienstzeit.
Kriegsminister André führt aus, durch den Wegfall der 3. Jahres-
klasse würde ein Ausfall von 50000 Mann entstehen. Zur Deckung sollen
die Hilfsmannschaften etwa 6000 Mann liefern, ferner sollen durch Um-
gestaltung des Feuerlöschkorps und Aufhebung der Musikschulen der Ar-
tillerie und der des Geniekorps und des französischen Kontingents der
Spahisregimenter und anderer derartiger Maßnahmen noch 8000 Mann
gewonnen werden. Schließlich sollen 7000 Unteroffiziere und 10000 Kor-
porale und 20000 Mann neu verpflichtet werden. — In der Debatte wird
vielfach die Besorgnis geltend gemacht, daß die Qualität der Armee durch
diese Neuerung leiden werde; in der Presse erklären sich mehrere Generale
u. a. Gallifet scharf dagegen. Die Verteidiger der zweijährigen Dienstzeit
führen aus, die Dienstzeit müsse für alle gleich sein. — Ferner wird mehr-
fach die deutsche und französische Armee verglichen und ausgeführt, daß
die französische besser als die deutsche sei. — Am 4. Juli genehmigt der
Senat mit 176 gegen 114 Stimmen den Artikel des Entwurfs, daß der
Einitesb enst für alle, ausgenommen die körperlich untauglichen, gleich
sein soll.
20. Juni. Politische überwachung der Beamten.
Ein Rundschreiben des Ministerpräsidenten an die Präfekten führt
aus, daß sie politische Beamte und als solche die Delegierten der jeweiligen
Regierung in den einzelnen Departements seien, daß mithin ihre Haupt-
pflicht darin bestände, ihre Departements politisch zu überwachen, zwar
gerecht zu verwallen, aber doch dafür Sorge zu tragen, daß die Vorteile,
die die Republik zu gewähren in der Lage sei, nur an solche Personen
und Korporationen vergeben würden, die dem herrschenden System auf-
richtig ergeben seien.
27. Juni. Die Regierung erläßt ein Dekret, 135 Kongre-
ganistenschulen zu schließen.
Ende Juni. Juli. August. Viele Kongreganistenschulen wer-
den geschlossen, zum Teil unter Aufbietung von Polizei und Mi-
litär, weil die Bevölkerung sich für die geistlichen Lehrer und
Lehrerinnen erklärt.
3. Juli. (Kammer.) Minister des Auswärtigen Delcasse
erwidert auf eine Anfrage über das Verhältnis zwischen Frankreich
und Italien anläßlich der Erneuerung des Dreibundes:
„Niemand kann die Anmaßung haben, die Interessen Italiens besser
zu kennen als Italien selbst und noch weniger ihm eine Richtschnur vor-
zuzeichnen darüber, was seine Interessen ihm zu gebieten scheinen. Aber
ebenso wird niemand überrascht sein, daß, als uns auf den Tribünen
mehrerer Parlamente die bevorstehende Erneuerung des Dreibundes ange-