Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

254 Stalien. (März 15.— April.) 
Die Kammer spricht der Regierung mit 250 gegen 158 Stimmen 
bei 45 Stimmenthaltungen ihr Vertrauen aus. 
15. März. (Rom.) Das Dekret über die Militarisierung 
des Eisenbahndienstes wird wieder aufgehoben. 
23. März. Die Kammer genehmigt mit 186 gegen 50 Stim- 
men das Gesetz über die industrielle Frauen- und Kinderarbeit. 
Das Gesetz erhöht die Minimalaltersgrenze für die Kinderarbeit 
bei Knaben von 9 auf 12, für die Mädchen von 11 auf 15 Jahre. In 
besonders gefährlichen und gesundheitsschädlichen Betrieben wird sie auf 
18 Jahre hinaufgesetzt. Der Industrie, besonders in Sicilien, sind 3 Jahre 
als Uebergangszeit gelassen. Wöchnerinnen müssen 3 Wochen Ruhe haben, 
und auch dann dürfen sie zunächst nicht über 5 Stunden beschäftigt werden. 
Die Nachtarbeit wird eingeschränkt, die Zulassung von Frauen und Kin- 
dern zur Industriearbeit überhaupt von Zeugnissen der Kommunalbehörden 
abhängig gemacht. Diese dürfen nur ausgestellt werden, wenn alle Voraus- 
setzungen des neuen Gesetzes erfüllt sind. 
26. März. (Rom.) Als Nachfolger des zurückgetretenen 
Giusso wird der Senator Nicola Balengano zum Minister der 
öffentlichen Arbeiten ernannt. 
27. März. (Venedig.) Der deutsche Reichskanzler Graf 
Bülow hat mit dem Minister des Auswärtigen Prinetti eine Zu- 
sammenkunft. 
Ende März. (Oberitalien.) In mehreren Garnisonen 
kommt es zu Insubordinationen, weil die eingezogene Jahresklasse 
von 1878 noch nicht vollständig entlassen ist. Der Kriegsminister 
verfügt die schärfsten Maßregeln gegen etwaige Wiederholungen. 
April. Die italienische Regierung veröffentlicht ein Grün- 
buch über den Zwischenfall mit der Schweiz. 
Es enthält neun Aktenstücke: In dem ersten, das vom 5. Februar 
datiert ist, teilt der italienische Gesandte in Bern, Silvestrelli, mit, daß 
er mündlich die Aufmerksamkeit des Präsidenten Zemp auf den Artikel 
des „Risveglio“ und die darin enthaltene Beschimpfung des Andenkens 
des Königs Humbert gelenkt habe. Das vom 25. Februar datierte zweite 
Dokument enthält die Antwort des Bundesrats darauf, die dahin geht, 
daß der „Risveglio“ nur auf den förmlichen Antrag der italienischen Re- 
gierung verfolgt werden könne und daß letztere der Schweiz Reziprozität 
zusichern müsse. Das dritte Schriftstück, datiert vom 8. März, ist die 
Note, in welcher Silvestrelli erklärt, die italienische Regierung sei nicht 
gewillt, die gerichtliche Verfolgung des „Risveglio“ wegen des am 18. Ja- 
nuar veröffentlichten Artikels zu beantragen, und erhebe gegen die der- 
artigen Veröffentlichungen in der Schweiz gewährte Straflosigkeit Ein- 
spruch. Die italienische Regierung glaube genug getan zu haben, daß sie 
die Schweiz zur Beobachtung ihrer internationalen Pflichten aufgefordert 
habe, und überlasse dem Bundesrat die Verantwortlichkeit für seine Haltung. 
Die Forderung der Reziprozität erscheine der italienischen Regierung in 
dem vorliegenden Fall nicht angebracht, weil die Schweiz niemals an
	        
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