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Italien, wo die Schweizer Beamten für jeden Akt in der Presse aller
Parteien eine achtungsvolle Behandlung erfahren, eine Klage ähnlicher Art
gerichtet habe. Im vierten Schriftstück, datiert vom 12. März, wird Sil-
vestrelli von dem Präsidenten des Bundesrates, Dr. Zemp, erwidert, daß
die Note vom 8. März sowohl hinsichtlich des Inhalts, wie hinsichtlich der
Form dem Bundesrat verletzt habe. Der Bundesrat protestiert gegen den
Inhalt der Note und könne ihn nicht annehmen. Wenn die italienische
Regierung sich den Bestimmungen des schweizerischen Strafrechtes nicht
fügen wolle, so liege auch kein Anlaß vor, die schweizerische Regierung zur
Beobachtung ihrer internationalen Pflichten aufzufordern und ihr in dieser
Hinsicht irgend welche Verantwortlichkeit zuzuschieben. Im fünften Schrift-
stück, datiert vom 23. März, erwidert Silvestrelli, die italienische Gesandt-
schaft könne nicht zugeben, daß für die vorliegende Streitfrage Einwände
juristischer Natur, wodurch die Straflosigkeit, welche der „Risveglio“ ge-
nieße, erklärt werden sollte, geltend gemacht werden. Nach Ansicht der
italienischen Gesandtschaft sei die Veröffentlichung des „Risveglio“ nach
Artikel 4 und 5 des schweizerischen Gesetzes gegen die Anarchisten von 1894
zu bestrafen und von der schweizerischen Regierung von Amts wegen zu
verfolgen. Die Gesandtschaft könne daher ihren in ihrer Note vom 8. März
dargelegten Standpunkt nicht ändern. Im sechsten Schriftstück vom 7. April
wendet sich der schweizerische Gesandte in Rom, Dr. Carlin, an Minister
Prinetti und bestätigt ihm die ihm am 31. März mündlich gemachte Mit-
teilung, welche sich auf die Abberufung Silvestrellis aus Bern bezieht. Da
der Minister ihm ablehnend geantwortet, so wurde Dr. Carlin auf Befehl
seiner Regierung davon verständigt, daß der Bundesrat sich in die Not-
wendigkeit versetzt glaube, seine offiziellen Beziehungen zu Silvestrelli ab-
zubrechen. Das siebente Schriftstück vom 9. April enthält die Antwort
Prinettis, in welcher er dem Gesandten Carlin mitteilt, daß er ihm am
31. März die Erwägungen auseinandergesetzt habe, welche die Weigerung
veranlaßt hätten, Silvestrelli abzuberufen. Diese Erwägungen, welche in
einem beigefügten Schriftstücke enthalten waren, sollten seiner Meinung
nach den Bundesrat dahin bringen, seine eigene Entschließung nochmals
in Erwägung zu ziehen. Inzwischen sieht sich Prinetti in die Notwendig-
keit versetzt, auch seinerseits die offiziellen Beziehungen zu Carlin abzu-
brechen. In der Denkschrift zur Note vom 9. d. M. geht Prinetti noch-
mals die einzelnen Phasen der Frage durch und konstatiert, daß der
Bundesrat sich auf einen Standpunkt gestellt habe, welcher nicht dem der
italienischen Gesandtschaft entspreche, da diese das Treiben des Blattes
„Risveglio“ immer in seiner Gesamtheit im Auge gehabt habe und nicht
in seinen einzelnen Artikeln. Es sei daher natürlich gewesen, daß Sil-
vestrelli durch die Note vom 8. März es ablehnte, seinerseits gerichtliche
Verfolgung zu beantragen, da dies im Widerspruche mit der ständigen
Haltung der Gesandtschaft gestanden hätte. Was die Form der Note Sil-
vestrellis angehe, so erkläre sich dieselbe vollkommen durch die Tatsache,
daß die italienische Gesandtschaft schon seit langer Zeit feststellen konnte,
daß gegenüber den Angriffen auf die Einrichtungen des Königreichs der
Bundesrat in seinen Mitteilungen nicht das geringste Wort des Bedauerns
gefunden habe. So lagen die Dinge, als der eidgenössische Gesandte
Carlin am 31. März die Abberufung Silvestrellis verlangte. Prinetti
erwiderte ihm, er könne der Forderung nicht beitreten, da sie ihm nicht
gerechtfertigt erscheine. Der Minister fügte hinzu, seiner Ansicht nach
seien freimütige Erklärungen zwischen Silvestrelli unb dem Bundesrat am
seten geeignet, die Mißverständnisse zu beheben, die aufgetreten zu sein
ienen.