Ilalien. (April 22./23.) 257
von Tripolis dieselben Zusicherungen gegeben habe wie Frankreich be-
züglich der Westgrenze. Seine Antwort werde ebenso einfach wie bündig
lauten: „Jal Diese Zusicherungen sind uns gegeben!“ Die traditionelle
Herzlichkeit der Beziehungen zu England sei also wieder einmal be-
stätigt worden. Was Albanien angehe, von dem Graf Goluchowski in
seiner letzten Rede nichts gesagt habe, wahrscheinlich, weil er seinen
Aeußerungen nichts hinzuzufügen hatte, so könne auch er, Redner, seine
früheren Erklärungen wiederholen: Italien und Oesterreich-Ungarn stimmen
darin überein, in der Erhaltung des status quo in diesem Lande die
beste Garantie ihrer gegenseitigen Interessen zu sehen. Die beiden Re-
gierungen würden daher nicht aufhören, mit Gleichmut und völliger
Uneigennützigkeit der natürlichen Entwicklung des albanischen Volkes zu-
usehen.
Man habe vermutet, die Erneuerung des Dreibundes könne den
guten Beziehungen schaden, die in so glücklicher Weise wieder mit Frank-
reich hergestellt worden seien. Graf Bülow und Graf Goluchowski sowie
er, der Redner, selbst, hätten schon früher erklärt, daß der Dreibund, der
seinem Charakter nach, durchaus friedliche Ziele verfolge, weit davon ent-
fernt sei, irgendeine der vertragschließenden Parteien zu hindern, sich an
einem Uebereinkommen mit dritten Mächten zu beteiligen. Der Dreibund
enthalte nichts Aggressives gegen Frankreich, nichts dessen Ruhe und Sicher-
heit Bedrohendes und könne also keinerlei Hindernis für die Erhaltung
und die Weiterentwicklung der herzlichen Beziehungen zu Italiens latei-
nischem Schwestervolk sein. An dem Tage, da Frankreich und Italien die
Fragen prüften, welche beide im Mittelmeer trennen zu sollen schienen,
wurden beide bald zu der Feststellung geführt, daß ihre Interessen leicht
zu vereinbaren seien. Es komme also darauf an, Mißverständnisse zu be-
seitigen, welche die gegenseitigen Beziehungen beeinträchtigen könnten. Da
man ferner behauptet habe, daß Sonderkonventionen und Zusatzprotokolle
in dem Dreibundsvertrag eingefügt seien, welche den Geist der Dreibund-
politik änderten und selbst einen aggressiven Charakter gegenüber Frankreich
hätten, so halte er sich für verpflichtet zu erklären, daß solche Protofkolle
und Konventionen nicht existieren.
Hinsichtlich der Handelsverträge weist der Minister darauf hin, daß
eine Verhandlung mit den beiden Verbündeten noch nicht möglich sei, da
die neuen Tarife in Deutschland und in Oesterreich-Ungarn bisher noch
nicht festgestellt worden seien. Die drei Kabinette hätten nur prinzipielle
Ansichten austauschen können, aber die italienische Regierung lege der Sache
alle Wichtigkeit bei und wende ihr alles Interesse zu. In seinen Augen
würde eine auswärtige Politik, welches auch ihre Erfolge seien, weder als
geschickte noch als glückliche angesehen werden können, wenn sie nicht dem
Lande auf wirtschaftlichem Gebiete befriedigende Beziehungen sichere. Die
Zukunft werde beweisen, ob die von ihm befolgte Politik bei den künftigen
Handelsvertragsverhandlungen für Italien vorteilhaft sei. Sicher werde
ihn niemand davon überzeugen können, daß der beste Weg, zu guten
Handelsverträgen mit Dentschland und Oesterreich-Ungarn zu gelangen,
der wäre, die politischen Verträge mit denselben nicht zu erneuern. Keine
Wolke trübt den politischen Horizont. Heute ist das gemeinsame Pro-
gramm der Mächte, auf friedlichem Wege die Frage zu lösen, die man
sonst den Chancen eines Krieges überließ. Im vollen Einvernehmen mit
zwei anderen Mittelmeer-Großmächten ist Italien am besten in der Lage,
in der Welt sein Werk der Beruhigung und Versöhnung zu verfolgen.
Seiner eigenen Interessen sicher, kann Italien voller Ruhe nicht nur seiner
gegenwärtigen Lage, sondern auch der Zukunft ins Auge sehen.
Europäischer Geschichtskalender. XL1II. 17