Italien. (September 8. — November 19.) 259
schiedensten Gebieten des politischen und wirtschaftlichen Kampfes ihre Ziele
unabhängig und getrennt von jeder anderen Klasse und politischen Partei
zu verfolgen habe, verworfen, dagegen folgende Kompromißresolution an-
genommen: „Das Endziel des Sozialismus ist die Befreiung der Mensch-
heit von der kapitalistischen Ausbeutung durch das Mittel des Kollektivis-
mus. Der Weg zur Emanzipation ist der von dem klassenbewußten Pro-
letariat geführte Klassenkampf gegen die wirtschaftliche und politische Or-
ganisation der Klasse der Monopolisten und Besitzer der Produktionsmittel.
Da alle Reformen, welche die ökonomische, politische und moralische Hebung
des Proletariats bezwecken, gleichzeitig zur Erreichung der sozialen Revo-
lution beitragen, so erklärt der Kongreß die Existenz zweier verschiedener
Tendenzen als wohl vereinbar. Der Kongreß stellt fest, daß die Aktion
der Partei reformistisch ist, weil revolutionär, und revolutionär, weil refor-
mistisch, oder auch die einfache (semplicemente) sozialistische Parteitaktik.
Die Resolution erkennt ferner an, dab die Kammerfraktion in ihren Ent-
schlüssen selbständig ist; daß sie sich indes in Fühlung mit den Anschau-
ungen und Münschen der großen Masse des Proletariats halten muß.“ —
Die sozialistische Kammerfraktion ist in ihrer überwiegenden Mehrheit —
sie zählt 32 Mitglieder — gemäßigt und hat bisher mit Wärme das
Ministerium Zanardelli gestützt. Vorläufig dürfte die Kammerfraktion
auch bei ihrem Ministerialismus beharren. Um einer Spaltung der
Partei vorzubeugen, ist die obige Kompromißresolution so gefaßt, daß
sie sowohl Turati als auch Ferri, dem Ministerium und der Revolution
Recht gibt.
8. September. (Apulien.) In dem Landstädtchen Candela
treten mehrere Hundert Landarbeiter wegen Lohnstreitigkeiten in
Ausstand und greifen das zum Schutz der Arbeitswilligen herbei-
gerufene Militär an. Mehrere Arbeiter werden erschossen.
25. September. (Sizilien.) In der Provinz Catania richtet
ein Cyklon große Verwüstungen an und tötet viele Menschen.
November. Seeräuberei im Roten Meer. (Vgl. Asien.)
Am 10. November wird ein Abkommen zwischen Italien und der
Türkei auf folgenden Grundlagen abgeschlossen:
Alle in der Umgegend von Midi eingeschlossenen Seeräuberscha-
luppen werden zerstört oder dem Kommandanten Arnone ausgeliefert. Die
türkischen Behörden werden diejenigen Seeräuber, die türkische Untertanen
sind, exemplarisch bestrafen. Die von Arnone bezeichneten Seeräuber, die
nach der italienischen Kolonie Erythräg zuständig sind, werden von der
Pforte binnen zwei Monaten nach Massauah ausgeliefert. Die Pforte
verpflichtet sich, in Zukunft die Seeräuberei mit dem größten Nachdruck
zu ahnden. An die Familien der beiden in Midi getöteten Seeleute wird
eine Entschädigung von 15000 Franken bezahlt; für die bereits früher ge-
schädigten italienischen Untertanen in der erythräischen Kolonie wird eine
Zahlung von 19600 Franken geleistet. Die Segelschiffe aus Erythräa ge-
nießen künftig von der Türkei dieselbe Behandlung wie die Schiffe der
meistbegünstigten Nationen. Die italienische Regierung hat den Komman-
danten Arnone angewiesen, sich wegen schleuniger Durchführung dieses
Abkommens mit den Ortsbehörden ins Benehmen zu setzen. Sodann wird
Arnone mit den seinem Befehl unterstehenden Truppen und mit den den
Seeräubern weggenommenen Schaluppen nach Massauah zurückkehren.
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