22 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 22. 23.)
grundsätzlich alle Parteien zu, ebenso der Erklärung des Finanzministers
v. Rheinbaben, daß, wenn die fernere Gestaltung der Finanzlage es
ermögliche, die in der Vorlage bewilligte Summe dauernd bereitgestellt
werden solle, und daß ein Eingreifen in die Selbstverwaltung der einzelnen
Provinzen und Gemeinden sorgfältig zu vermeiden sei. — Die Vorlage
wird an eine Kommission verwiesen.
22. Januar. (Reichstag.) Etat des Reichstags. Verhältnis
zwischen Bundesrat und Reichstag.
Abg. Barth (fr. Vg.) beschwert sich über die rücksichtslose Behand-
lung des Reichstags durch den Bundesrat bei Initiativanträgen; sehr
häufig lasse sich die Regierung dabei gar nicht vertreten. Der Bundesrat
lasse sich Zeit mit seiner Stellungnahme und teile bei Ablehnungen nichts
über seine Gründe mit, z. B. in der Jesuiten- und Diätenfrage. Ferner
müsse das Wahlgeheimnis besser geschützt werden. Reichskanzler Graf
Bülow: Wir sind uns der durch die Verfassung auferlegten Pflichten, so
auch insbesondere der Pflicht bewußt, dafür Sorge zu tragen, daß bei
Wahlhandlungen die bestehenden Gesetze auf das genaueste beobachtet werden.
Wenn in dem erwähnten Wahlvorgange die bestehenden Gesetze irgendwie
verletzt worden sind, so wird selbstverständlich Remedur eintreten. Eine
Aenderung des Wahlgesetzes bezüglich der Wahlvorschriften in der angeregten
Weise in Aussicht zu stellen, bin ich allerdings nicht in der Lage. Was
die Stellungnahme der verbündeten Regierungen gegenüber Initiativ-
anträgen aus diesem hohen Hause und ihre Haltung dazu betrifft, so muß
ich für die verbündeten Regierungen das Recht wahren, nach eigenem Er-
messen zu entscheiden, ob und in welcher Weise sie sich vertreten lassen
wollen bei der Beratung solcher Anträge in diesem Hause. Diesen Grund-
satz hat, soweit ich weiß, schon Fürst Bismarck aufgestellt, der Schöpfer
der Reichsverfassung, und es ist meine Pflicht, als Reichskanzler die Rechte
der verbündeten Regierungen in dieser Beziehung nicht beschränken zu lassen.
Ich bin gewiß durchdrungen von dem Grundsatz der aufrecht zu erhaltenden
Parität zwischen dem Reichstag und den verbündeten Regierungen. Der
Abgeordnete Dr. Barth wird aber selbst nicht bestreiten wollen, daß auch
Vorlagen der verbündeten Regierungen von diesem Hause nicht angenommen
worden sind, daß sie also auch unter Umständen einem Antrage des Hauses
ihre Zustimmung nicht oder noch nicht erteilen können.
Die Redner des Zentrums und der Linken sind nicht befriedigt von
dieser Erklärung und fordern namentlich nähere Mitteilung über die Ge-
währung von Diäten; Graf Bülow lehnt unter Zustimmung der Rechten
diese Verfassungsänderung ab.
23. Januar. (Preußen.) Dem Landtage geht folgende
Vorlage über die Vorbereitung zum Justizdienste zu:
§ 1. Die Dauer des Rechtsstudiums, welches der ersten juristischen
Prüfung vorangehen muß (§ 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes), beträgt
sieben Halbjahre.
§ 2. Den Gegenstand der ersten juristischen Prüfung bilden die
Disziglinen der Rechtsgeschichte, des Privatrechts, des öffentlichen Rechts
und der Nationalökonomie.
§ 3. Die Dauer des zwischen der ersten und der zweiten Prüfung
liegenden Vorbereitungsdienstes beträgt drei und einhalb Jahre.
§ 4. Dieses Gesetz tritt am 1. April 1902 in Kraft. Die Vor-
schriften der §§ 1 und 3 finden auf Kandidaten, welche das Rechtsstudium
vor dem 1. Oktober 1901 begonnen haben, unter der Voraussetzung keine