Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Rußland. (Dezember 13.) 293 
einanderlief, 2 Tote, 7 Schwerverletzte und 12 Leichtverletzte zurücklassend. 
102 Personen, die Widerstand leisteten, wurden festgenommen. Ueber die 
Ursachen dieser Arbeiterbewegung ist besondere Untersuchung eingeleitet 
worden. 
Der Streik wird am 12. Dezember beendet, nachdem den Arbeitern 
der rückständige Lohn ausbezahlt ist und einige unbeliebte Meister ent- 
lassen wurden. Die Arbeiter halten hierauf einen feierlichen Dank-Gottes- 
dienst ab und liefern 22 Agitatoren der Regierung aus. 
13. Dezember. Der „Regierungsbote“ veröffentlicht folgendes 
Communiqus über die Lage in Makedonien und die Politik Ruß- 
lands und Österreich-Ungarns: 
Laut Nachrichten aus der östlichen Türkei schließt die Lage auf der 
Balkanhalbinsel nicht die Möglichkeit ernster Komplikationen aus. Dank 
der rechtzeitig ergriffenen Maßnahmen und dem Eintritte des Winters ist 
anzunehmen, daß die Gärung in Mazedonien einstweilen keine weitere Aus- 
breitung findet, dennoch sprechen viele Anzeichen dafür, daß die steigende 
Unzufriedenheit der Untertanen des Sultans unter dem Drucke verschie- 
dener Komitees einen allgemeinen Aufstand im Frühling hervorzurufen 
geeignet ist. Diese beängstigenden Erscheinungen können nicht verfehlen, 
Rußlands Aufmerksamkeit zu erwecken, das von Altersher für das Schick- 
sal der verwandten Stämme besorgt ist. Die russische Regierung machte 
der Pforte entsprechende Vorstellungen, um einem weiteren Umsichgreifen 
der Unruhen über die ganze Balkanhalbinsel vorzubeugen, und beauftragte 
den russischen Botschafter in Konstantinopel, nach Prüfung der örtlichen 
Zustände über die Möglichkeit sofortiger Einführung administrativer Re- 
formen in Mazedonien zu berichten, und ohne Unterlaß der türkischen Re- 
gierung deren Durchführung zu empfehlen, zwecks der Verbesserung der 
Lage der orthodoxen Bevölkerung. Indessen ist nicht außer acht zu lassen, 
daß, solange Unruhen in diesem Gebiete vorhanden sind, die der türkischen 
Regierung Anlaß geben, Maßregeln gegen die aufständischen Untertanen 
zu ergreifen, administrative Reformen und eine vollkommene Beschützung 
der Bevölkerung vor den Uebergriffen der Beamten sehr schwierig sind. 
Demnach ist die erste Hauptbedingung für einen Erfolg in dieser Richtung 
das Aufhören der Agitationen des Komitees in Mazedonien, da sie den 
beabsichtigten patriotischen Zweck nicht erreichen, sondern die Bevölkerung 
nur von friedlicher Arbeit zurückhalten und zu verhängnisvollen Schritten 
hinreißen. Die russische Regierung hatte wiederholt Veranlassung, ihre 
Ansicht über die mazedonische Frage auszusprechen; sie verurteilte jeden 
Versuch der slavischen Stämme auf gewalttätige Veränderung der durch 
internationale Vereinbarungen garantierten Lage der Balkanhalbinsel. 
Dieser Ansicht ist die russische Regierung auch gegenwärtig. Angesichts 
dessen erachtet sie es für zweckentsprechend, von neuem der serbischen und 
bulgarischen Regierung den wohlmeinenden Rat zu geben und sie auf die 
Notwendigkeit hinzuweisen, im eigenen Interesse die gefährliche Agitation 
zu verhindern und zur Wiederherstellung der Ruhe auf dem Balkan ihrer- 
seits beizutragen. Die kaiserliche Regierung ist berechtigt zu der festen 
Hoffnung, das in den gemäß dem Allerhöchsten Willen gemachten Vor- 
stellungen gesteckte Ziel zu erreichen, und darauf zu rechnen, daß die slavi- 
schen Stämme, welche ihre Freiheit und Selbständigkeit den uneigennützigen 
Opfern Rußlands verdanken, ihren Weisungen folgen werden. Der un- 
erschütterliche Entschluß Rußlands, den möglichen Komplikationen auf der 
Balkanhalbinsel vorzubeugen, findet die vollste Zustimmung der übrigen
	        
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