Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

294 Rußland. (Dezember 19.) 
Mächte. Die österreichisch-ungarische Regierung hat nicht versäumt, ihren 
Vertreter in Konstantinopel nach dem Austausch der Ansicht mit dem rufsi- 
schen Botschafter zu beauftragen, sich den Schritten des russischen Bot- 
schafters bei der Pforte behufs der Notwendigkeit der Einführung von 
Reformen in Mazedonien anzuschließen. Die vereinten Anstrengungen der 
benachbarten, an der Aufrechterhaltung des Friedens im Orient am meisten 
interessierten Staaten sind die Folge der Vereinbarungen von 1897, deren 
wohltätige Wirkung und Existenz nur möglich ist bei strenger Beobachtung 
der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien, als die Nichtzulassung willkür- 
licher Abänderung der vertragsmäßig festgestellten Ordnung auf der Balkan- 
halbinsel und die Aufrechterhaltung der Ruhe, die so notwendig ist für die 
Wohlfahrt der christlichen Völker und endlich die Wahrung des allgemeinen 
Friedens. Zum Schluß kann die kaiserliche Regierung, welche nicht wenige 
Beweise ihres steten Wunsches, die besten Beziehungen mit der Türkei zu 
unterhalten, gegeben hat, nicht ermangeln, die Hoffnung auszudrücken, daß 
die Regierung des Sultans die nötigen Maßregeln zur Unterdrückung jeg- 
licher Gewalttätigkeiten ergreifen und die Bedeutung der freundschaftlichen 
Vorstellungen Rußlands zugunsten der christlichen Bevölkerung Mazedoniens 
schätzen wird, deren schnelle und möglichste Beruhigung als bestes Material 
erscheint, der Entstehung von für die ottomanische Regierung gefährlichen 
Komplikationen vorzubeugen. 
19. Dezember. Offizielle Erklärung über die afiatische Politik 
Rußlands. 
In der „Now. Wremja“ veröffentlicht Paul Tolstoi einen Artikel 
über die asiatischen Fragen. Hierauf veröffentlicht das Auswärtige Amt 
in der „Now. Wremja“ folgendes: Nach den Erklärungen Tolstois habe 
sich Rußland den Forderungen Englands, den „ersten“ Vertrag mit China 
bezüglich der Mandschurei zu vernichten, unterworfen. Diese Behauptung 
ist unrichtig. Es ist kein Vertrag vernichtet worden; und es konnte also 
auch keine Rede sein von irgend einer Forderung, die England an Ruß- 
land gestellt hat. In den nach und nach erfolgten Veröffentlichungen der 
russischen Regierung war der Standpunkt derselben bezüglich der chinesischen 
Ereignisse von 1900 nachdrücklich betont. Das vorgestreckte Ziel, dessen 
Grundlage die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung normaler Verhält- 
nisse im Nachbarstaate war, streng einhaltend, begann Rußland die Ver- 
handlungen, betreffend die Räumung der Mandschurei. Die chinesische 
Regierung zog sich anfänglich, vielleicht unter dem Einfluß fremder Machen- 
schaften, von dem Abschlusse des Vertrags zurück. Für Rußland lag keine 
Notwendigkeit zum Vertragsabschlusse vor. Es wurde später der Vertrags- 
abschluß tatsächlich vollzogen, doch geschah dies nur auf Drängen der chine- 
sischen Regierung, wobei Rußland die Räumung der Mandschurei von der 
Wiederherstellung der Ruhe im Lande und von dem Verhalten der übrigen 
Mächte abhängig machte. Nachdem England und Japan ein Bündnis ge- 
schlossen, bekundeten Rußland und Frankreich ein enges Zusammengehen in 
Ostasien. Dies ist das beste Dementi gegen die Behauptung, daß in den 
Angelegenheiten Chinas England und Japan eine hervorragende Stellung 
einnehmen. — Bezüglich Koreas ist bekanntlich 1896 zwischen Rußland und 
Japan ein Vertrag abgeschlossen worden, welcher diesen beiden Staaten ge- 
stattet, eine Anzahl Truppen in Korea zu halten. Danach ist das Halten 
kleiner Truppenteile seitens Japans in Korea ebenso wenig wie die An- 
stellung des Japaners Cato, der im Ministerium für Landwirtschaft eine 
Stellung zweiten Grades einnimmt und nicht der Verwalter des Hof- 
ministeriums ist — eine Verletzung dieses Vertrages. Was den Engländer 
 
	        
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