Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

298 Türkei. (Dezember Anfang. 14.) 
Anfang Dezember. (Konstantinopel.) Die Pforte ver- 
öffentlicht folgende Maßregeln zur Verbesserung der Verwaltung 
der europäischen Provinzen: 
Die Gendarmerie wird aus Muhammedanern und Christen bestehen, 
ausgediente Soldaten werden vor anderen Muhammedanern bevorzugt. 
Die Enthebung und Ersetzung der Gendarmerieoffiziere und Polizeikom- 
missäre erfolgt mit Zustimmung der Walis. Zu Polizeikommissären und 
Agenten werden Mohammedaner und Christen ernannt, welche lesen und 
schreiben können. Die Walis haben die Fortschritte der Landwirtschaft, 
der öffentlichen Bauten und der Industrie zu überwachen. Direktoren der 
öffentlichen Bauten werden neu ernannt und den Walis zugeteilt. Das 
System der Zwangsarbeit für den Straßenbau bleibt unverändert. 5 Prozent 
der Vilajeteinnahmen werden öffentlichen Bauten gewidmet. Ortschaften 
mit über 50 Häusern erhalten eine Volksschule; die Schulenzahl jedes Di- 
striktes wird vermehrt. In den Hauptorten der Sandschaks und Vilajets 
werden Vorbereitungsschulen errichtet. Zwei Drittel der für den Unterricht 
verwendbaren Gelder werden in den Vilajets verwendet, und ein Drittel 
für die höheren Schulen in Konstantinopel. Wo Aemter der Direktoren 
des Unterrichts und der Landwirtschaft noch nicht bestehen, werden solche 
errichtet. Für die Direktoren der vom Vilajet abhängigen Distrikte werden 
Kaimakamate errichtet. Die Direktoren und Dragomans für den aus- 
wärtigen und den Vilajetdienst werden mit Zustimmung des Ministers 
des Answärtigen ernannt und müssen das internationale Recht, die Ver- 
träge und anderes auf das Ressort des Auswärtigen Bezügliche kennen. 
Die Walis sorgen dafür, daß die ernannten Beamten tüchtig sind. Die 
Auswahl der Mutessarifs und der Generalinspektoren der Vilajets erfolgt 
durch die Wahlkommission für Zivilbehörden mit Zustimmung der Walis. 
Gerichtstribunale werden nach dem Organisationsgesetze überall errichtet. 
Das jetzige Prinzip für die Auswahl der Gerichtsbeamten wird aufgehoben. 
Künftig erfolgt die Ernennung durch den Justizminister im gleichen Ver- 
hältnis von Muhammedanern und Christen. Approbierte Rechtsschüler, 
welche dem Justizwesen dienen, werden bevorzugt. Die Distrikte erhalten 
die gleichen Tribunale, mit je einer Sektion für Zivil- und für Straf- 
sachen, wie die Sandschaks. Die Tribunale wirken unabhängig und un- 
beeinflußt, wie gesetzlich vorgeschrieben. Zuwiderhandelnde zeigt der Wali 
und der neuernannte Generalinspektor sofort dem Justizminister an, welcher 
sie suspendiert oder enthebt, die Untersuchung einleitet und mit der Durch- 
führung der Maßregeln die Walis betraut. Der neuernannte General- 
inspektor, welchem Zivil= und Militärbeamte zugeteilt sind, ist beauftragt, die 
Durchführung der Maßregeln zu kontrollieren und den Wali wie die Hohe 
Pforte von nicht durchgeführten Maßregeln zu benachrichtigen, die Verwal- 
tung und den Finanzdienst zu inspizieren, Verbesserungen vorzuschlagen, mit 
den Walis über die Enthebung und Ersetzung von Beamten zu beraten, Be- 
amte zur Untersuchung zu ziehen und Vorschläge betreffs deren Nachfolger 
den durch Iradé ernannten Beamten der Hohen Pforte zu unterbreiten. 
Dagegen wird die neuernannte, aus einem Präsidenten und drei Mitgliedern 
bestehende Kommission die Berichte der Walis und der Generalinspektoren 
an die Hohe Pforte studieren und mit den Walis und den Generalinspektoren 
korrespondieren, sowie die Beschlüsse unverzüglich dem Großwesir unterbreiten. 
14. Dezember. (Konstantinopel.) Der Minister des Aus- 
wärtigen richtet an die Botschafter der Pforte folgendes Rund- 
schreiben über die Verwaltungsreformen: 
 
	        
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