Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

344 Nebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1902. 
klärungen der Regierung gegenüber, in Erhöhungen nicht willigen 
zu wollen. 
In einer anderen wichtigen wirtschaftlichen Frage, in der 
Aufhebung der Ausfuhrprämien für den Zucker, fand dagegen 
die Regierung die Unterstützung der Linken gegen einen Teil der 
Rechten. Obwohl schon seit langem die Beseitigung der Prämien 
als wünschenswert anerkannt worden war, wollte doch jetzt ein Teil 
der Vertreter der Landwirtschaft hierzu sich nicht ohne Gegen- 
konzession verstehen, weil voraussichtlich das Verschwinden der 
Prämien den Zucker bedeutend verbilligen und die augenblickliche 
Notlage der Landwirtschaft verschärfen werde. Die Konzession 
wurde gefunden in der Verstaatlichung der Sachharin-Industrie, 
und der Beitritt zur Brüsseler Zuckerkonvention wurde beschlossen. 
— Aufßer diesen Gesetzen ist von der Tätigkeit des Reichstags noch 
zu erwähnen die Vollendung der Seemannsordnung und die Auf- 
hebung des Diktaturparagraphen, womit ein alter Wunsch der 
Reichslande und des Reichstags erfüllt worden ist. Endlich ist die 
Behandlung des Toleranzantrags nicht ohne Bedeutung geblieben, 
denn obwohl er im Bundesrate nicht auf Zustimmung rechnen 
kann, hat er doch bewirkt, daß einige Einzelstaaten, wie Mecklen- 
burg und Braunschweig, einige obsolete Beschränkungen in der 
Ausübung der Religion aufzuheben begonnen haben. 
Neben dem Zolltarif stand die Polenpolitik wiederum im 
Vordergrunde des Interesses, und die preußische Regierung hat sich 
aufs neue erhebliche Mittel bewilligen lassen, um die bisherige 
Politik in verstärktem Maße fortzusetzen. Die Stellung der Par- 
teien dazu war dieselbe wie im Vorjahre. Es dürfte wenige Fragen 
geben, über die in der öffentlichen Meinung der national gesinnten 
Parteien — ausgenommen das Zentrum — eine so weitgehende 
Einigkeit herrscht, aber auch wenige, deren theoretische Begründung 
eine so geringe Vertiefung erfahren hat. Die Literatur z. B., in 
der die Vertreter der herrschenden Richtung ihre Anschauung dar- 
gelegt haben, läßt sich an Gehalt in keiner Weise mit der über 
eine andere brennende Frage der letzten Jahre, der maritimen An- 
gelegenheiten, vergleichen. Offenbar liegt der Grund darin, daß 
die öffentliche Meinung über die Richtigkeit des eingeschlagenen
	        
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