Nebersicht der yvelitischen Entwichelung des Jahres 1902. 345
Weges nicht die leisesten Zweifel hegt und daher gar keiner tieferen
Beweisführung bedarf und auch die Gegner der herrschenden An-
schauung, die namentlich unter den höheren Beamten und den Ge-
lehrten zu suchen sind, kaum beachtet. Eine Neuerung gegen früher
ist, daß sich das Ausland lebhafter mit der preußischen Polenpolitik
beschäftigt (S. 185, 283), und zwar knüpfen derartige Erörterungen
gewöhnlich an den Wreschener Prozeß an (Jahrg. 1901). So un-
bedeutend dies Ereignis an sich war, so hat es doch die Härten
gezeigt, zu denen die Konsequenz der angenommenen Grundsätze
führen kann, und bietet so einen vortrefflichen Agitationsstoff.
In Bayern hat das Schulbedarfsgesetz lebhafte Kämpfe ent-
fesselt, da die den bayerischen Landtag beherrschende Partei des
Zentrums mehrere Bestimmungen über die Schulaufsicht in das
Gesetz hineinbrachte, die über den Rahmen eines Dotationsgesetzes
hinausgingen. Die hierdurch hervorgerufene Spannung entlud sich
in heftigen Angriffen der liberalen Opposition gegen den Kultus-
minister v. Landmann, der den Liberalen zu nachgiebig gegen die
Wünsche des Zentrums zu sein schien. Als er dann infolge eines
Konfliktes mit der Universität Würzburg seinen Abschied nahm,
faßte das Zentrum das als Kapitulation vor den Liberalen auf
und trat in schroffen Gegensatz zur Regierung. Es dokumentierte
seine Unzufriedenheit durch einige Abstriche am Kultusetat, die
zwar politisch bedeutungslos waren aber doch die allgemeine Auf-
merksamkeit erregten, weil sie als Vorboten eines tieferen Konfliktes
zwischen der Regierung und Landtagsmehrheit galten. Da der
Streit am Ende der Tagung ausbrach, so haben sich unmittelbare
parlamentarische Folgen nicht mehr daran knüpfen können, aber
die Kluft ist noch nicht überbrückt. Die Diskussion dieser Ereig-
nisse wurde mit größerer Lebendigkeit wieder aufgenommen, als der
Kaiser dem Prinzregenten Luitpold seine Entrüstung über die Ver-
minderung des Kultusbudgets aussprach. Die Führer der Land-
tagsmehrheit fühlten sich hierdurch persönlich verletzt und sahen in
den Außerungen des Kaisers eine unberechtigte Einmischung in
innere bayerische Verhältnisse, gegen die sie sich in Versammlungen
und in der Presse energisch zur Wehr setzten. Ihre Proteste rich-
teten sich nicht nur gegen das „Präsidium des Bundes“, sondern