Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

350 Mebersicht der politischen Entwickelnns des Jahres 1902. 
im Vorjahre proklamierte antiklerikale Politik durchzuführen und 
mußte darüber so heftige Angriffe der radikalen Opposition er- 
dulden, daß er den Rücktritt vorzog. Die Übernahme der Regie- 
rung durch den jungen König hat neue Momente in den öffent- 
lichen Angelegenheiten noch nicht erkennen lassen. 
England stand in der ersten Hälfte des Jahres noch unter 
dem Zeichen des Burenkrieges und der damit zusammenhängenden 
Fragen wie Deckung der Kriegskosten, Reformierung und Ver- 
stärkung von Heer und Flotte. Zur Aufbringung der Kriegskosten 
mußte die Regierung zu mehreren neuen Steuern und Zöllen ihre 
Zuflucht nehmen (S. 223/4), was selbst in der Regierungspartei 
nicht ganz ohne Oppofition blieb. Der finanziellen Schwierigkeiten 
vermochte die Regierung indessen bald Meister zu werden, dagegen 
ist die seit einiger Zeit viel erörterte Rekrutierung der Armee noch 
ein ungelöstes Problem (S. 221). Auf den Ausbau der Marine 
sind wie alle Jahre große Mittel verwendet worden, und dazu 
haben auf einer in London abgehaltenen Kolonialkonferenz auch 
die meisten Kolonien Beiträge versprochen. Ihre Leistungen sind 
allerdings vorläufig noch gering, aber man sieht in England hierin 
doch eine Stärkung des Reichsgedankens, und für viele ist daher 
der ersehnte große britische Zollverein nur noch eine Frage der Zeit. 
Weitere Ereignisse von Bedeutung waren die Erkrankung 
und Krönung des Königs, die durch den Rücktritt Salisburys not- 
wendig gewordene Umbildung des Kabinetts, die seinen politischen 
Charakter aber nicht veränderte, und endlich die Durchsetzung der 
Schulvorlage. Sie hat die öffentliche Meinung weit mehr erregt 
als irgend eine innerpolitische Maßregel der letzten Jahre. — Das 
bisherige Volksschulsystem war geregelt nach der Bill Forster vom 
Jahre 1870. Damals bestanden zahlreiche Privatschulen, errichtet 
und unterhalten von Gemeinden und Privatpersonen unter geringer 
staatlicher Beihilfe; streng konfessionell waren sie meist hochkirchlich 
und standen gewöhnlich unter der Leitung des Pfarrers der Parochie. 
Neben diesen führte die Lex Forster die sogenannten boards schools 
ein, interkonfessionellen Charakters, deren Erhaltung der Staat 
übernahm. Den Distrikten, in denen eine solche Schule bestand, 
wurde eine besondere Schulsteuer auferlegt. Drei Millionen Kinder
	        
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