352 Nebersicht der politischen Eutwichelung des Jahres 1902.
in der Herbsttagung gelang es aber der Regierung durch die Dro-
hung mit ihrem Rücktritt, den Widerstand in den eigenen Reihen
zu besiegen. (Vgl. Mc. Kenna, Revue politique et parlamentaire
1902, XII.)
In Frankreich drehte sich das öffentliche Interesse um den
Kampf gegen die Kongregationen. Der Feldzug, den Waldeck-
Rousseau in den letzten Jahren eingeleitet hatte, war hervor-
gegangen aus dem Bestreben, den klerikalen Einflüssen in Staat
und Armee entgegenzutreten. Ursprünglich nahm die Regierung
nur eine Verschärfung der Aufsicht über die geistlichen Gesellschaften
in Aussicht, in diesem Jahre ist jedoch die Regierung über dieses
Ziel hinausgegangen und hat der Kirche die Schule zu entreißen
begonnen. Veranlaßt wurde sie hierzu durch den Ausfall der
Wahlen. Die Kammerwahlen, die im Frühjahr stattfanden, er-
gaben eine beträchtliche Majorität für die Regierung; trotzdem
entschloß sich Waldeck-Rousseau zum Rücktritt. Es waren wohl
rein persönliche Gründe, die ihn dazu bewogen: körperliche Er-
schöpfung nach einer fast dreijährigen Regierung und die Absicht,
sich für den Posten als Präsident der Republik aufzusparen. Die
Neubildung des Ministeriums, die damit notwendig wurde, zeigte,
daß die radikale bürgerliche Linke, durch Eroberungen nach rechts
hin, so verstärkt war, daß sie ohne Hilfe der Sozialisten ein Ka-
binett bilden konnte, und so kam ein rein radikales Parteimini-
sterium zu stande. Da es aber seinen Hauptgegner naturgemäß
in der Rechten sah, so blieb ihm die parlamentarische Unterstützung
nach wie vor erhalten. Das neue Kabinett nahm den Traditionen
der Partei entsprechend sogleich den Kampf gegen die Kongrega-
tionen mit erneutem Eifer auf und begann mit der Schließung der
Ordensschulen; schließlich wurden fast sämtliche Ordensnieder-
lassungen aufgelöst. Häufig machte es Schwierigkeiten, für die
aufgehobenen geistlichen Schulen sogleich Ersatz zu finden, und ohne
kräftigen Widerstand ist das Vorgehen der radikalen kirchenfeind-
lichen Regierung nicht geblieben. Man erkennt aus den vielfachen
Unruhen, daß in Frankreich, insbesondere auf dem Lande, die
klerikale Gesinnung noch eine große Macht ist, und von besonderem
historischen Interesse ist, daß die Rassenunterschiede in der Be-