Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

32 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 6. 7.) 
ein anderer Kurs eingeschlagen werde. Wenn im gewöhnlichen Leben einem 
gesagt werde: „Du hast unser Vertrauen nicht mehr!“ dann gebe man sich 
die Hand und sage „Lebewohl!“ Er hoffe, daß er deutlich genug gewesen 
sei, um verstanden zu werden. (Großer Beifall.) Hierauf wird beschlossen, 
in Rücksicht darauf, daß durch die Regierungserklärung die Grundlage, auf 
welcher der Kommissionsantrag (die beanstandeten Ueberschreitungen in der 
Hauptsache zu genehmigen) gefaßt worden sei, verändert werde, den Be- 
richt der Kommission dieser zur anderweitigen Berichterstattung zurück- 
zugeben. — Infolgedessen reicht das ganze Ministerium seine Entlassung 
ein. Die Presse steht durchweg auf seiten der Kammer und tadelt die 
inkonstitutionelle Finanzpolitik. 
Am 10. Februar genehmigt der König den Rücktritt des Finanz- 
ministers v. Watzdorf, lehnt aber die Demission der übrigen Minister 
ab. Finanzminister wird der bisherige Justizminister Dr. Rüger, dessen 
Nachfolger der Erste Staatsanwalt Dr. Otto wird. 
6. Februar. Das Preußische Abgeordnetenhaus ver- 
weist den Gesetzentwurf über die Neuordnung des juristischen Studiums 
 an eine Kommission. 
7. Februar. (Reichstag.) Marineetat. Beratung des 
Geheimerlasses (S. 28). 
Staatssekretär v. Tirpitz: Bei der Beratung des Flottengesetzes 
hielten die Regierungen es für notwendig, nach dem Bau des Linienschiff- 
geschwaders an die Vermehrung der Auslandsschiffe heranzutreten. Dem- 
gemäß würde die erste Vermehrung 1906 zur Anmeldung gekommen und 
eine Novelle ein Jahr vorher vorgelegt worden sein. Mein Erlaß enthält 
nun die Anordnung, in eine Vorarbeit für diese Novelle einzutreten. Es 
ist gewissermaßen eine Studie. Ich habe ihn als geheim bezeichnet, weil 
er lediglich als eine interne Angelegenheit des Reichsmarineamts beurteilt 
werden sollte und ich mir auch selbst meine Beschlußfassung,  vorbehalten 
mußte. Er geht davon aus, daß wir in dem augenblicklich bestehenden 
Schiffsbautempo der drei großen und drei kleinen Schiffe nichts ändern 
wollen. In den einmaligen Ausgaben für Docks u. s. w. sind für jetzt 
18 Millionen ausgesetzt. Anders verhält es sich bei den fortdauernden 
Ausgaben in Höhe von 6 Millionen, welche in Ansatz gebracht sind. Ich 
habe mich nun, wie ich an die Vorarbeiten dieser Novelle heranging, der 
Wahrscheinlichkeit nicht verschließen können, und zwar veranlaßt durch die 
Berichte unseres Geschwaderchefs draußen in Ostasien, daß wir die Ver- 
mehrung der Auslandsindiensthaltung bis 1911 nicht würden verschieben 
können. Ich mußte mit einer solchen Möglichkeit rechnen, mußte aber, 
um eine Unterlage für die Beratung zu gewinnen, ein fingiertes Tableau 
dieser Vermehrung aufstellen und darin wurde die Ausgabe auf 8 Mil- 
lionen geschätzt, gegenüber den 6 augenblicklich vorgesehenen. Es handelt 
sich eben um eine Schätzung, da eine Berechnung fehlt. Diese Steigerung 
ist nun der einzige finanzielle Effekt, der aus meinem Erlaß hervorgeht 
Also ich wiederhole: eine Beschleunigung im Bautempo tritt nicht ein, auch 
nicht eine Vermehrung der Kosten bei den einmaligen Ausgaben, dagegen 
würde bei einer Steigerung der Auslandsindiensthaltung eine Vermehrung 
der fortdauernden Ausgaben eintreten. Die Beschlußfassung darüber muß 
ich mir vorbehalten. Ich habe den finanziellen Effekt genau fixieren 
wollen, um den maßlosen Uebertreibungen in bezug auf neue Flottenpläne 
hier entgegenzutreten. Inzwischen werden sich ja in der Presse die An- 
sichten mehrfach geklärt haben und in einer Reihe von Zeitungen beschränkt
	        
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