Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 8./12.) 35 
strebungen der Landwirtschaft mehr gefährdet und geschädigt als durch 
Uebertreibungen und Einseitigkeiten. Die verbündeten Regierungen sind 
darüber einig, daß die von ihnen vorgeschlagenen Getreidezölle die Grenze 
bezeichnen, bis zu welcher jene Zölle erhöht werden können, ohne einer- 
seits der ganzen übrigen Bevölkerung lästig zu fallen und ohne anderer- 
seits den Abschluß von Handelsverträgen in Frage zu stellen, wie sie die 
Landwirtschaft, die Industrie und der Handel brauchen, die alle drei mit 
festen Verhältnissen rechnen müssen und alle das Bedürfnis nach ruhigen, 
gleichmäßigen Zuständen haben. Auch ist es sehr zweifelhaft, ob eine weitere 
Erhöhung der Getreidezölle über die Sätze des Entwurfs hinaus für die 
Landwirtschaft auf die Dauer von Vorteil sein würde, denn sie könnte eine 
Reaktion hervorrufen, unter deren Einfluß auch der legitime Zollschutz der 
Landwirtschaft fallen würde." 
8./12. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.)  
Debatte über Unterstützung der Buren. Erklärung Richthofens. 
Abg. Lückhoff (fr.kons.) führt Klage, daß die englische Regierung 
dem deutschen Burenhilfsbunde Schwierigkeiten in den Weg lege, das Elend 
in den südafrikanischen Konzentrationslagern zu mildern. — Da kein Ver- 
treter des Auswärtigen Amtes anwesend ist, wird die Regierung von 
mehreren Seiten scharf angegriffen. — Am 12. Februar führt es Staats- 
sekretär v. Richthofen auf ein Mißverständnis zurück, daß das Auswärtige 
Amt nicht vertreten gewesen sei. Zur Sache erklärt er: Wie ich aus den 
Reden der Herren entnommen, geht ihr Wunsch dahin, zu erreichen, daß 
der Deutsche Burenhilfsbund durch die Vermittlung des Auswärtigen Amtes 
Waren zollfrei und frachtfrei bis in die Konzentrationslager verbringen 
kann. Ein Antrag in diesem Umfange liegt dem Auswärtigen Amte bis- 
her nicht vor. Der Burenhilfsbund wandte sich an die Kaiserin mit der 
Bitte, es zu ermöglichen, daß der Bund eine Hilfs- und Sanitäts-Expedition 
zu den Konzentrationslagern führe. Der Bund machte gleichzeitig dem 
Reichskanzler von der Absendung dieser Immediateingabe Mitteilung und 
fügte die Bitte hinzu, die Gestattung der Entsendung des Zuges zu er- 
wirken. Sobald von der Kaiserin die Eingabe an das Auswärtige Amt 
gelangt war, wurde der Botschafter in London telegraphisch beauftragt, 
die Bitte des Burenhilfsbundes befürwortend zur Kenntnis der britischen 
Regierung zu bringen. (Bravo.) Der Botschafter wurde angewiesen, hie- 
bei hervorzuheben, daß der Bund ausdrücklich erkläre, das geplante Unter- 
nehmen entbehre jeder politischen Bedeutung, es habe lediglich humanitäre 
Absichten, und der Bund sei bereit, sich allen Bedingungen zu unterwerfen, 
die von englischer Seite gestellt würden. Auch hatte der Botschafter auf 
die Namen der hervorragenden Männer hinzuweisen, die aus allen Be- 
völkerungsschichten den Antrag unterzeichnet haben. Ich meinerseits nahm 
Anlaß, die Sache mit dem hiesigen britischen Botschafter zu besprechen, 
legte ihm die Erfüllung der Bitte ans Herz und machte besonders darauf 
aufmerksam, daß die Erfüllung der Bitte nicht nur im Interesse der not- 
leidenden Burenfamilien, sondern auch im Interesse der Verbesserung der 
öffentlichen Stimmung in Deutschland gegenüber England liege. (Leb- 
hafter Beifall.) Das britische Auswärtige Amt hat den Antrag an das 
Kriegsamt weitergegeben. Es haben darauf mehrfach Besprechungen zwischen 
dem deutschen Botschafter und dem britischen Staatssekretär des Aeußern 
stattgefunden. Bis gestern war aber eine Rückäußerung des Kriegsamtes, 
das sich vermutlich mit den Militärbehörden in Südafrika in Verbindung 
gesetzt hat, an das britische Amt noch nicht ergangen. Ich bin daher noch 
nicht in der Lage, Ihnen die endgültige Antwort der englischen Regierung 
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