Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

38 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar Mitte.) 
noch einmal die Bitte aussprechen, daß unser Kaiser unsere Stimme hören 
möge, und sich nicht beeinflussen lassen möge durch die Entstellungen und 
Verleumdungen unserer Gegner. 
Ueber den Bestand des Bundes berichtet Direktor Dr. Hahn: Der 
Bund zählte am 1. Februar 1902 250000 Mitglieder, 18000 mehr als 
am selben Tage des Vorjahres. Von ihnen gehören 217000 dem Klein- 
grundbesitz an, 31500  dem mittleren Besitz. Eingerechnet sind etwa 
40000  Handwerker und andere Gewerbetreibende, die ihr Gewerbe zum 
großen Teil als Nebenberuf ausüben. Großgrundbesitzer sind 1500. Von 
den Mitgliedern wohnen 115000 östlich, 135000  westlich der Elbe. Der 
Schwerpunkt hat sich auch im vergangenen Jahre nach dem Westen ver- 
schoben. 
 Hierauf wird eine Resolution gegen den Zolltarifentwurf angenommen 
und erklärt, daß die Landwirtschaft kein Interesse an langfristigen Handels- 
verträgen habe, aber im Interesse der Industrie an ihrem Zustandekommen 
mitwirken wolle. Ferner wird eine Reform des Börsengesetzes verlangt. 
Mitte Februar. Deutschland, England und die Vorgeschichte 
des spanisch-amerikanischen Krieges. 
In der englischen Presse wird anläßlich der bevorstehenden Reise 
des Prinzen Heinrich das Verhältnis zwischen Deutschland und den Ver- 
einigten Staaten lebhaft besprochen. So schreibt die „Birmingham Post“, 
die als Chamberlains Organ gilt: „Amerika wird die kriechenden deutschen 
Freundschaftsversicherungen, die gemischt sind mit den Forderungen eines 
Tarifkrieges, richtig einzuschätzen verstehen.“ Ferner wird vielfach be- 
hauptet, daß Deutschland im Frühjahr 1898 versucht habe, eine europäische 
Intervention zu gunsten Spaniens herbeizuführen. Infolgedessen bringt 
der „Reichs-Anzeiger“ folgende Veröffentlichung: 
Die Frage, wie die einzelnen Mächte sich im Frühjahr 1898 zu 
dem Gedanken einer Einmischung in den spanisch-amerikanischen Konflikt 
gestellt haben, hat neuerdings nicht nur die Presse verschiedener Länder, 
sondern auch das englische Parlament wiederholt beschäftigt. Um diese 
Frage, soweit Deutschland davon berührt wird, endgültig aufzuklären, er- 
folgt die Veröffentlichung der nachstehenden zwei Schriftstücke: 
Das erste, datiert Berlin, 15. April 1898, ist von v. Bülow, der 
damals Staatssekretär war, an den Kaiser gerichtet. v. Bülow übermittelt 
an den Kaiser nachstehendes Telegramm des Botschafters v. Holleben aus 
Washington:  
Der englische Botschafter ergriff in sehr auffälliger Weise heute die 
Initiative zu einem neuen Kollektivschritt der hiesigen Vertreter der Groß- 
mächte. Wir vermuten, daß die Königin-Regentin in diesem Sinne bei 
der Königin von England vorstellig geworden ist. Die sechs Vertreter 
telegraphieren an ihre Regierungen auf Wunsch des englischen Botschafters 
in folgendem Sinne: 
„Man kann angesichts der Haltung des Kongresses keine Hoffnung 
mehr auf Frieden hegen und die allgemeine Meinung geht dahin, daß auch 
die Mächte nichts gegen den Krieg einzuwenden hätten. Eine gute Basis 
für neue Verhandlungen schien die Note des spanischen Gesandten vom 
10. April zu bieten. Wenn diese Ansicht von den Regierungen geteilt wird, 
so erscheint es angezeigt, hier den Irrtum zu zerstreuen, als finde die be- 
waffnete Intervention in Kuba die Unterstützung der zivilisierten Welt. 
(Der Präsident hatte in seiner Dezember-Botschaft gesagt, daß er nur in 
diesem Falle eine Intervention wolle.) Die hiesigen Vertreter glauben 
unter diesen Umständen, daß die Großmächte die Aufmerksamkeit der hiesigen
	        
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