Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 20. 21./26.) 41 
Regierungen für den Kompromißantrag in keinem Stadium der Beratungen 
zu haben sein wird."“ 
Die Anhänger einer Zollerhöhung entnehmen aus dieser Erklärung, 
daß die Regierung mit der Verwerfung des Kompromißantrages nicht un- 
bedingt jede Erhöhung der Getreidezölle ablehne. — Die Kommission ge- 
nehmigt den Kompromißantrag mit 14 gegen 10 Stimmen (26. Februar). 
Abg. Graf Schwerin-Löwitz (kons.) erklärt dazu: Sollten die verbündeten 
Regierungen uns auf der Linie, welche der Kompromißantrag kennzeichnet, 
wirklich durchaus nicht entgegenkommen, so würden jedenfalls meine poli- 
tischen Freunde, und, wie ich glaube sagen zu dürfen, auch die Mehrheit 
des Reichstages die in dem zweiten Absatz der Vorlage enthaltene mora- 
lische Verpflichtung zur Annahme von Handelsverträgen, welche bis auf 
die in diesem Absatz enthaltenen Minimalsätze heruntergehen sollten, nicht 
übernehmen, sondern wir würden in diesem Falle, so sehr wir dies auch 
bedauern würden, ein Scheitern der ganzen Vorlage doch noch als das 
geringere Uebel, gegenüber einer abermaligen langfristigen Bindung der 
Getreidezölle auf offenbar unzureichender Höhe vorziehen. 
Die Presse der Linken erwartet einen Konflikt zwischen der Regie- 
rung und der Mehrheit des Reichstags und hofft, daß der ganze Zolltarif 
daran scheitern werde. 
20. Februar. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt 
aus Anlaß des silbernen Papstjubiläums: 
Mit dem 20. Februar tritt Seine Heiligkeit der Papst Leo XlII. 
unter den Segenswünschen der gesamten Christenheit römisch-katholischen 
Bekenntnisses in das fünfundzwanzigste Jahr seines Pontifikats. Wir ver- 
stehen die Gesinnungen der Verehrung, die unsere katholischen Mitbürger 
beim Anbruch dieses seltenen Jubeljahrs bewegen. In der langen Reihe 
der Päpste gibt es nur wenige Beispiele für eine zeitlich so ausgedehnte 
Verwaltung des obersten Hirtenamtes. Die Regierung Leos XIII. hat 
überdies auch nach ihrem Inhalt Anspruch auf einen glänzenden Platz in 
der Kirchengeschichte. Wie seit langem kein anderer seiner Vorgänger auf 
dem Stuhle Petri hat gerade das gegenwärtige Oberhaupt der katholischen 
Kirche die geschichtliche Idee des Papsttums verkörpert. Dieser Idee steht 
das neue Deutsche Reich, das nicht mehr im mittelalterlichen Sinne nach 
Weltherrschaft strebt, unbefangener gegenüber, als das vergangene Heilige 
römische Reich deutscher Nation. Kaiser und Papst haben seit Jahrzehnten 
ihr Interesse dabei gefunden, mit einander von Souverän zu Souverän in 
den Formen der völkerrechtlichen Kourtoisie zu verkehren, und der jetzige 
Träger der Tiara verdankt die nachhaltigsten Erfolge seines Pontifikats 
einer weisen Pflege der Beziehungen des päpstlichen Stuhls zu der deutschen 
Großmacht. Das Entgegenkommen, das er hierin bei den Kaisern aus 
dem Hause Hohenzollern gefunden hat, ist dem internationalen Ansehen des 
Papsttums förderlich gewesen. Seine Majestät der Kaiser und König hegt 
auch persönlich für den ehrwürdigen Kirchenfürsten eine aufrichtige Sym- 
pathie, die über das Maß der zwischen Souveränen herkömmlichen Höf- 
lichkeit hinausgeht. Unter den Abordnungen, welche zum Jubiläum Seiner 
Heiligkeit die Glückwünsche der einzelnen Mächte darbringen, wird eine 
Spezialmission des Deutschen Reichsoberhauptes nicht fehlen. 
21./26. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) 
Redner der Freisinnigen und Nationalliberalen greifen den Minister 
des Innern, v. Hammerstein, scharf an wegen Wahlbeeinflussungen
	        
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