Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

44 Das Denisthe Reich uud seine einzelnen Glieder. (März 3.) 
keineswegs schädlich. Abg. Richter (fr. Vp.) wünscht schleunige Zurück- 
ziehung der Besatzungsbrigade, um große Mehrkosten und neue weltpolitische 
Verwicklungen zu vermeiden. Die Kosten der chinesischen Unternehmung 
ständen in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen. Abg. Hasse (ul.): Die 
Besatzung dürfe nicht früher als die der anderen Mächte zurückgezogen 
werden. 
Reichskanzler Graf Bülow: Durch das englisch-japanische Abkommen 
vom 30. Januar wird in der Haltung und Stellung der deutschen Politik 
nichts geändert. Weder in China noch in Korea verfolgen wir irgend- 
welche territoriale Zwecke. Wir haben in Ostasien lediglich das Interesse, 
daß unser Handel sich möglichst gesichert entwickelt, aber gar keines, uns 
in die Streitigkeiten und Kämpfe um die politische Herrschaft über das 
Gebiet nördlich und östlich des Golfes von Petschili hineinziehen zu lassen 
und uns in Widerspruch zu setzen mit unserer Chinapolitik, die ich für 
unser Verhalten in Ostasien wiederholt dargelegt habe. Unsere Interessen 
in Ostasien sind, abgesehen von dem Schutz der in China lebenden deutschen 
Missionäre, den wir nach wie vor als eine Ehrenpflicht betrachten, aus- 
schließlich wirtschaftlicher Natur. Das englisch-japanische Abkommen hat 
sich nur die Erhaltung des status qduo in Ostasien zur Aufgabe gestellt. 
Es schädigt somit die deutschen Interessen in Ostasien, wie Frhr. v. Hert- 
ling in einer so durchaus zutreffenden Art dargelegt hat, in keiner Weise 
und in keinem Punkte. Die in diesem Abkommen zu gunsten der Selb- 
ständigkeit und Integrität des chinesischen Reichs enthaltenen Festsetzungen 
berühren Deutschland nicht. Deshalb haben wir, als uns nach dem Ab- 
schluß des Abkommens Kenntnis von dem Inhalt desselben gegeben wurde, 
erwidert, daß durch dieses Abkommen das deutsch-englische Abkommen vom 
16. Oktober 1900 nicht berührt, folglich auch die deutschen Interessen nicht 
tangiert würden. Die zwischen Deutschland und England am 16. Oktober 
1900 abgeschlossene Uebereinkunft, welche dem deutschen Handel und der 
deutschen Schiffahrt Vorteile im Gebiete des Jangtsekiang-Stromes sicherte 
und für unsere wirtschaftliche Gleichberechtigung im Süden des Jangtsekiang 
und an den Küsten des chinesischen Reiches den Grundsatz der „offenen 
Thür“ zur Geltung brachte, bleibt unverändert in Kraft. Ebenso sollen 
die seinerzeit zwischen dem Deutschen Reiche und den anderen Mächten 
ausgetauschten Erklärungen, durch welche das Prinzip der offenen Thür 
für China anerkannt wird, nach wie vor Geltung behalten. Bei diesem 
Anlaß möchte ich noch folgendes sagen: Englische Blätter haben sich aus 
Peking telegraphieren lassen — ich habe hier einen Zeitungsausschnitt vor 
mir liegen mit einem solchen Telegramm, das die „Times"“ brachten —, 
daß wir auf Kosten anderer Länder Monopol= und Ausschließungsrechte 
in Schantung erstrebten. Ich möchte keinen Augenblick vorübergehen lassen, 
ohne dieser Ente so rasch wie möglich den Hals umzudrehen. (Heiterkeit.) 
Deutschland verlangt auch in Schantung nur die offene Tür, d. h. die 
Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, welche wir auch anderen Ländern 
in Schantung und allen übrigen Teilen des chinesischen Reiches nicht be- 
streiten. Wenn wir uns in Schantung für die deutschen Unternehmer von 
der chinesischen Regierung einige konkrete Eisenbahn= und Bergwerks- 
konzessionen erworben haben, so ist das übrigens schon vor drei Jahren 
geschehen. Wir haben nur dasselbe getan, was auch andere Regierungen 
für ihre Staatsangehörigen in anderen Teilen des chinesischen Reichs getan 
haben. Von deutschen Ausschließungsrechten ist also in Schantung gar 
keine Rede. Wir wollen auch in China überhaupt gar keine Extrawurst, 
wir verlangen die gleichen Rationen, wie sie die anderen bekommen haben. 
Ich bin in der englischen Presse hier und da der Vermutung begegnet,
	        
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