Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

52 Das Dentsqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (März 11.) 
werden kann. Die Stellung, welche die auswärtige Vertretung des Deutschen 
Reiches und des Königreichs Preußen hiebei übernahm, gibt mir vielleicht 
das Recht zu Bemerkungen, die über den Rahmen des hohen Hauses und 
des Reichstags hinausgehen und sich sowohl an Sie, wie auch an die All- 
gemeinheit wenden. 
Die Opfer an Gut und Blut, die in England standhaft geleistet 
wurden, der große Verlust an Menschenleben, der starke Abgang an aus- 
gezeichnetem Offiziermaterial, die Höhe der erforderlichen Ausgaben, die 
dadurch bedingte Anziehung der Steuerschraube, — wenn alles das er- 
wogen wird, werden Sie zugeben, daß es menschlich und natürlich ist, 
wenn sowohl bei einzelnen wie bei der Nation die Empfindlichkeit wächst. 
Das harte Wort wird doppelt tief empfunden, freundlicher Zuspruch doppelt 
freundlich aufgenommen. Wenn ich die Empfindungen unserer Nation 
recht verstehe, geht unser Wunsch dahin, daß wir den Notleidenden in 
Südafrika nach Möglichkeit helfen. Das ist nicht anders möglich, als mit 
Zustimmung und Unterstützung von englischer Seite, ohne die wir über- 
haupt nicht an die Buren herankommen können. Um diese Unterstützung 
und Hilfe uns zu sichern, ist es meines Erachtens geboten, die Empfind- 
lichkeit der englischen Regierung und Nation nach Möglichkeit nicht heraus- 
zufordern. Dazu bedarf es keiner Liebedienerei. Der deutschen Politik 
liegt auch Liebedienerei gänzlich fern; unsere Politik treiben wir niemand, 
als dem deutschen Volke zuliebe. (Bravo.) Ich glaube auch, daß man so 
handeln kann, ohne unsere eigenen Ansichten über den Krieg selbst auf- 
zugeben. (Bravo! Sehr richtig!) Aber nur wenn wir diese Empfindlich- 
keit berücksichtigen, werden wir weiter in Südafrika im Dienste der Mensch- 
lichkeit wirken können. Was sollen wir tun, um in dieser Beziehung viel- 
leicht die Situation in England etwas zu ändern? In Frage kommt 
zunächst wohl etwas gerechtere Kritik. Verteilen wir Licht und Schatten 
etwas gerechter, als bisher geschehen ist. Nehmen wir nicht immer gleich 
von vornherein an, daß alles, was von englischer Seite geschieht, zu Un- 
recht und schlecht geschieht. Ich darf wohl ein Beispiel citieren. Ich las 
haarsträubende Beschreibungen über die Gefangenenlager. Vor einigen 
Tagen nun war bei mir einer unserer Generale, der in der Lage ist, aus 
eigener Erfahrung darüber zu berichten. Der sagte zu mir: Ich halte es 
für meine Pflicht — und ermächtige Sie, von meinem Namen Gebrauch 
zu machen —, zu erklären, daß ich die Gefangenenlager in Ceylon als 
mustergültig vorfand. Es war General v. Trotha, der frühere Kommandeur 
der Schutztruppe von Ostafrika, der auf der Rückkehr von China in Ceylon 
Aufenthalt genommen hatte. Er fügte hinzu, die Küchen und die hygieni- 
schen Einrichtungen im Lager seien geradezu erstklassig. Die ehemals 
deutschen Offiziere, die sich dort befanden, brachten ihm als einzige Be- 
schwerde vor, daß keine genügende Abwechslung in der Kost bestehe. Darauf 
habe er erwidert: Ja, Kinder, wenn ihr erwartet, daß euch die Engländer 
von Zeit zu Zeit K viar und Austern servieren, so ist das doch etwas viel 
verlangt. Meines Erachtens würde es der Würde einer Nation keinen 
Abbruch tun, wenn wir auch menschliche Sympathie bezeugten, wie z. B. 
bei der gestern gemeldeten schweren Verwundung von Lord Methuen, eines 
Mannes, der Jahre hindurch als Militärattaché hier in Berlin war, sich 
der besonderen Wertschätzung der beiden ersten Kaiser erfreute, und in 
weiten Kreisen der Hauptstadt ein freundliches Andenken hinterließ. 
Wie gesagt, ich glaube, daß es nur durch die Schonung der nationalen 
Gefühle möglich ist, weiter auf dem Wege vorzuschreiten, den das Buren- 
hilfskomitee andeutete, und den zu gehen, wir sehr gern bereit sind. (Bravo.) 
Ich denke, daß wir in erster Linie jetzt dahin zu wirken suchen, daß es
	        
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