Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

56 Nas Denisqche Reich und seine einzelnen Slieder. (März Mitte — 18.) 
108, dagegen 238 Abgeordnete, für 5 M 226, dagegen 125 Abgeordnete. 
Das Zentrum stimmte in beiden Fällen geschlossen, soviel mir erinnerlich. 
Die Meinung, Fürst Bismarck habe bei jener Vorlage hauptsächlich Kampf- 
zölle im Auge gehabt, gründet sich wohl auf ein an mich gerichtetes Schreiben 
desselben vom 4. Dezember 1887. 
Dieses Schreiben des Fürsten Bismarck an den Landwirtschafts- 
minister lautet: Friedrichsruh, den 4. Dezember 1887. Euer Excellenz gefl. 
Schreiben vom 2. d. M. habe ich zu erhalten die Ehre gehabt und benutze 
diese Gelegenheit, um Ihnen meinen verbindlichsten Dank für die ent- 
schiedene und beredte Weise auszusprechen, mit welcher Sie die alleinige 
Vertretung der Getreidezollvorlage wahrgenommen haben. Ich teile Euer 
Excellenz Ansicht vollkommen, daß eine Verquickung der Fragen der Wäh- 
rung und des Identitätsnachweises mit der des Getreidezolls letzteren 
schädigen würde; hoffentlich wird es Euer Excellenz Bemühungen gelingen, 
die Kommissionsberatungen von dieser Vermischung frei zu halten. Meines 
Erachtens würde es nützlich sein, in der Kommission mehr darauf hinzu- 
weisen, daß die Erhöhung der Getreidezölle uns die einzige Handhabe 
bietet, um dem russischen Prohibitionssystem wirksam entgegenzutreten. 
Wir können wegen Zollfragen keinen Krieg mit Rußland beginnen und 
die politischen Gegensätze ihretwegen nicht verschärfen, wohl aber können 
wir durch Erschwerung der russischen Einfuhr nach Deutschland Rußland 
nötigen, seinerseits auf unsere Interessen mehr Rücksicht zu nehmen. Dazu 
bieten die Getreidezölle die erste und wirksamste Handhabe. 
Frhr. v. Lucius fügt hinzu: Dieses Schreiben beweist nur, daß Fürst 
Bismarck neben dem Schutze der heimischen Landwirtschaft zugleich auch 
die Bedeutung eines hohen autonomen Tarifes für etwaige Zollkonzessionen 
bei Handelsvertragsverhandlungen mit unseren östlichen Nachbarn im Auge 
hatte. Sicher verstärkte ein solcher die Position der Regierung für solche 
Eventualitäten, ebenso wie die finanziellen Erträge hoher Getreidezölle 
nicht gleichgültig für die Reichsfinanzen damals waren und noch sind. Wenn 
eine Nutzanwendung aus den damaligen Verhandlungen und Verhältnissen 
auf die jetzige Lage zu machen wäre, so bestände diese wohl darin, daß 
man sich bestrebte, eine möglichst schnelle und vollständige Einigung zwischen 
den verbündeten Regierungen und der schutzzöllnerischen Mehrheit des 
Reichstages herbeizuführen. 
Mitte März. (Preußen.) Der Minister der öffentlichen 
Arbeiten tadelt in einem Erlaß an die Eisenbahndirektionen, daß 
sogenannten „Naturärzten“ Diensträume für ihre Vorträge zur Ver- 
fügung gestellt worden seien. 
18. März. (Cuxhaven.) Der Kaiser empfängt den aus 
Amerika zurückkehrenden Prinzen Heinrich. 
18. März. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in 
Rastenburg-Gerdauen wird Gutsbesitzer Rautter (kons.) mit 9716 
Stimmen gewählt. Gutsbesitzer Dultz (fr. Vp.) erhält 4773 und 
Gutsbesitzer Ebhardt (Soz.) 3206 Stimmen. 
18. März. (Sachsen.) In der Zweiten Kammer kritisiert 
Finanzminister Dr. Rüger scharf die Einrichtungen der Finanz- 
verwaltung, die es unmöglich mache, einen genauen Voranschlag 
aufzustellen.
	        
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