Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

64 Das Penisthe Reih und seine einzelnen Slieder. (April 22. —24.) 
22. April. Dem Reichstage wird ein Gesetzentwurf vor- 
gelegt, wonach den Mitgliedern der Zolltarifkommission für die 
Teilnahme an den Sitzungen der Kommission, welche während der 
Unterbrechung der Plenarverhandlungen des Reichstags stattfanden, 
je 2400 Mark aus der Reichskasse gewährt werden sollen. 
23. April. (Reichstag.) Erste Lesung des Gesetzentwurfs 
über Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben. 
Abg. Dr. Hitze (Z.) begrüßt das Gesetz sympathisch, wünscht aber 
in einer Kommissionsberatung mehrfach Aenderungen vorzunehmen, so 
empfiehlt er die Ausdehnung der Gewerbeinspektion auf die Hausindustrie. 
Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vg.): Die Kinderarbeit werde sich vermehren, 
wenn der Zolltarif mit seiner Verschlechterung der Lebenshaltung der ar- 
beitenden Klassen Gesetz werde; die Vorlage müsse daher ein Gegengewicht 
schaffen. Die Begrenzung der Arbeitszeit sei auch im Interesse der Schule 
zu begrüßen. Abg. Frhr. v. Richthofen (kons.): Die Verhältnisse der 
Landwirtschaft dürften nicht mit denen der übrigen Gewerbe zusammen 
geregelt werden. Abg. Wurm (Soz.): Die Erwerbsarbeit der Kinder sei 
ein Erzeugnis der Hungerlöhne der Erwachsenen. Namentlich auf dem 
Lande würden die Kinder ausgebeutet und unwürdig behandelt. Auch 
ihre Verwendung in der Hausindustrie müsse nach Kräften beschränkt 
werden. Abg. Frhr. Heyl v. Herrnsheim (ul.): Die Vorlage werde 
segensreiche Wirkungen haben und die Ausbeutung der Kinder verhindern. 
24. April. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl im 
Wahlkreise Celle-Peine erhält Wehl (nl.) 7382, v. d. Decken (Welfe) 
6080, Boediker (Bd. d. Ldw.) 4673, Thielhorn (Soz.) 5420 Stimmen. 
In der Stichwahl wird Wehl mit 11343 Stimmen gewählt; 
v. d. Decken erhält 10 556 Stimmen. 
24. April. (Baden.) Großberzog Friedrich feiert sein 
fünfzigjähriges Regierungsjubiläum. Er empfängt Glückwünsche 
und Besuche von zahlreichen Fürsten Deutschlands und des Aus- 
landes sowie von vielen Korporationen, u. a. begrüßt ihn der 
Reichskanzler im Namen des Bundesrats. Am 26. April hält der 
Kaiser in Karlsruhe auf einem Festmahl folgende Rede in Er- 
widerung einer Ansprache des Großherzogs: 
Eure königliche Hoheit haben die Gnade gehabt, hier am heutigen 
Festtage auch Meiner zu gedenken und mit tiefbewegtem Herzen ergreife 
Ich das Wort, um den Dank auszusprechen für diese außerordentlich freund- 
lichen Worte, diese zu Herzen gehenden Worte, die Eure königliche Hoheit 
soeben gesprochen haben. Wie diese Halle und wie dieser Fleck, an dem 
auch Ich Mich entsinne, die erhabene, Ehrfurcht gebietende Gestalt Meines 
hochseligen Herrn Großvaters und neben ihm die Lichtgestalt Meines 
Vaters gesehen zu haben, so birgt das Karlsruher Schloß in allen seinen 
Teilen für Mich Erinnerungen von höchstem Herzenswert und es war 
natürlich, daß Ich den Wunsch hegte, bei diesem so seltenen und einzig 
schönen Feste, welches Gottes Huld und Gnade Euerer königlichen Hoheit 
mit Ihrem Hause beschert hat, auch Meinen bescheidenen Anteil nehmen
	        
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