Das Veuische Reich und seine einjelnen Glieder. (Juni Anfang.) 97
nur fest entschlossen sind, sie zu einer solchen zu machen. Der Deutsche
ist oft so mutlos und melancholisch, oder, wenn es ihm zu gut geht, über-
mütig und überschwenglich. Da ist der einzige feste und unerschütterliche
Pol in der Erscheinungen Flucht stets die preußische Armee gewesen und
noch heute. Die staunenswerten Erfolge, die der König errang, und die
in einem köstlichen Kranz herrlicher Siege ein unvergänglicher Besitz un-
serer Heeresgeschichte geworden sind, entwuchsen aus angestrengter Friedens-
arbeit geworbener Truppen, unter denen auch mancher Ausländer zu finden
gewesen ist. Heute steht die Armee als eine nationale Einrichtung vor
unsern Blicken, die Generale sind ihre Führer, von Soldat und Bürger
mit Achtung und Vertrauen angesehen. Eine großartige Schule zur Er-
ziehung unserer Jugend in nationalem Sinne! Sie, meine Herren, sind
die Erzieher! Nicht nur Reglements, Taktik und Strategie, sondern auch
Stolz und Dienstfreudigkeit sollen in meinem Rock gelehrt und Achtung
und Liebe für unsere unvergleichliche Armeetradition; dann wird es um
unsere Zukunft mit Hilfe „unseres großen Alliierten oben“ gut bestellt sein.
Dann kann Ich die Worte auch zu den Meinen machen für die gesamte
Armee, welche Prinz Moritz von Anhalt-Dessau dem großen König über
das Regiment Alt-Larisch nach Leuthen sagte, als Seine Majestät die
Front des von ihm persönlich zum Angriff W gewesenen Regiments
abritt: „Ihro königliche Majestät können getrost Ihr Szepter und Krone
denen Leuten anvertrauen, denn so diese vor denen Feinden davon lauffen,
so möchte ich dorten auch nicht gerne mehr verweilen.“ Dann wird Meine
Armee stets das Instrument bleiben, dessen Ich bedarf, damit Meine Politik
— wenn nötig — Unterstützung findet: „wo es die Feder allein nicht
mehr machen kann, so sie nicht von der Schärfe des Schwerts soutenieret
wird.“ Es lebe Mein Gardekorps und die ganze preußische Armee!
Anfang Juni. Preßstimmen über den Zollkonflikt zwischen
Deutschland und Kanada. (Vgl. Großbritannien.)
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt (2. Juni):
Wie aus der geschichtlichen Entwicklung unzweifelhaft hervorgeht
und wie in den Motiven des Gesetzes vom 11. Mai 1898 besonders dar-
gelegt wird, handelt es sich ausschließlich darum, den tatsächlichen Zustand,
der unter der Herrschaft des Handelsvertrags von 1865 bestanden hat,
insoweit aufrecht zu erhalten, als dies von den bisherigen Kontrahenten
gewünscht wird und ermöglicht werden kann. Diese Voraussetzung traf
aber bei Kanada nicht zu, wo schon während der Dauer des Handels-
vertrags von 1865 unter dem 23. April 1897 ein Gesetz in Kraft getreten
ist, das der Einfuhr des britischen Mutterlandes und der britischen Kolo-
nien von diesem Tage ab um 12,5 und ab 1. Juli 1898 um 25 Prozent
ermäßigte Zollsätze zusicherte. Solange der Handelsvertrag noch dauerte,
mußte diese Vergünstigung auch der deutschen Einfuhr zugute kommen;
sie wurde ihr aber nach Ablauf des Vertrages vom 1. August 1898 ent-
zogen und die Vorzugsbehandlung später ab 1. Juli 1900 auf 33⅛ Pro-
zent erhöht. Nachdem die deutsche Meistbegünstigung in Kanada in Weg-
fall gekommen war, wurden den deutschen Herkünften auch nicht mehr die
Vergünstigungen zu teil, die Frankreich auf das Sonderabkommen vom
6. Februar 1893 genießt. Deutschland war also auf dem kanadischen Markte
gegenüber Großbritannien und Frankreich differenziert. Auf die kanadische
Einfuhr mußten hiernach die autonomen Zollsätze ohne weiteres angewandt
werden. Von der weiter gehenden gesetzlichen Befugnis, Straf= oder Zu-
schlagszölle aufzuerlegen, machte die deutsche Regierung gegenüber Kanada
überhaupt nicht Gebrauch. Keine kanadische Ware hat vom Jahre 1898
Europäischer Geschichtskalender. XIV. 7