Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

98 Das Denisqhe Reich und seine eintelnen Glieder. (Juni Anfang.) 
bis jetzt einen Zollsatz über den autonomen Tarif jemals bezahlt. Die 
großbritannische Regierung brachte nur einmal im Jahre 1899 unsere 
Stellung gegenüber Kanada in amtlicher Form zur Sprache. Daraufhin 
wurden ihr in der Note vom 5. August 1899 die für Deutschland maß- 
gebenden und vorstehend erörterten Gründe entwickelt. Eine Erwiderung 
hierauf ist der deutschen Regierung nicht zugegangen. Im November 1901 
haben der kanadische Premierminister, der Finanzminister und der Zoll- 
minister den kaiserlichen Konsul in Montreal zu einer Besprechung wegen 
eines neuen Abkommens mit Deutschland eingeladen. Hierbei forderten 
die kanadischen Vertreter die Gewährung sämtlicher Zollherabsetzungen des 
deutschen Vertragstarifes, während Kanada Deutschland lediglich die in 
dem kanadisch-französischen Handelsabkommen ausgemachten Zollherab= 
setzungen einräumen wollte, die für Deutschland nur von sehr geringem 
Werte sind. Jedes weitere Zugeständnis lehnten die kanadischen Vertreter 
von vornherein ab, insbesondere auch das Zugeständnis der allgemeinen 
Meistbegünstigung der deutschen Waren gegenüber denen dritter Länder, 
das Kanada in Deutschland für die kanadischen Erzeugnisse in Anspruch 
nahm und das es in den Verträgen mit Frankreich und anderen Staaten 
gemacht hat. Von deutscher Seite wurden gleichwohl die Verhandlungen 
nicht abgebrochen, vielmehr lediglich vorläufig vertagt. In keinem Sta- 
dium der Angelegenheit dachte die deutsche Regierung an irgend welche 
Einmischung in Gestaltung der inneren Verhältnisse Großbritanniens zu 
seinen Kolonien, sondern führte lediglich die Vorschriften des bestehenden 
Zollgesetzes aus. Wohl aber betonte die englische Regierung bei verschie- 
denen Anlässen, daß die Kolonien Großbritanniens als Gebiete mit eigenem 
Zollsystem zu betrachten sind und daß es ihrer Wahl vorbehalten bleiben 
müsse, ob sie einem Abkommen des Mutterlandes über die Handels= und 
Zollangelegenheiten beitreten wollen oder nicht. Diesem grundsätzlichen 
Standpunkt der großbritannischen Regierung entspricht es, daß Deutsch- 
land Kanada als eigenes Zollgebiet behandelt. 
Die handelspolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Kanada 
werden durch folgende Daten charakterisiert: Am 30. Mai 1865 schloß der 
Zollverein mit Großbritannien einen Meistbegünstigungsvertrag ab, der 
bestimmte, daß in den britischen Kolonien die Erzeugnisse der Staaten des 
Zollvereins keinen höheren oder anderen Eingangsabgaben unterliegen 
sollten, als die gleichen Erzeugnisse Großbritanniens oder irgend eines 
anderen Landes. Dieser Vertrag wurde von Großbritannien am 30. Juli 
1897 gekündigt. Gleichzeitig mit der Kündigung sprach die britische Re- 
gierung den Wunsch aus, über einen neuen Handelsvertrag zu unter- 
handeln. Diesem Wunsche wurde deutscherseits beigetreten. Als es bis 
zum Ablaufe des Handelsvertrages am 30. Juli 1898 zu einem neuen 
Vertrage nicht gekommen war, bewilligte Deutschland durch einen beson- 
deren gesetzgeberischen Akt zuerst auf Grund des Gesetzes vom 11. Mai 
1898 der Einfuhr des britischen Mutterlandes und der britischen Kolonien 
mit Ausnahme Kanadas das den Meistbegünstigungsstaaten zustehende Recht 
auf niedrigere Zollsätze. Diese Ermächtigung wurde wiederholt verlängert, 
zuletzt durch das Gesetz vom 29. Mai 1901 bis zum 31. Dezember 1903.“ 
Die Ausführungen der „Nordd. Allg. Ztg.“ werden von der ge- 
samten deutschen Presse gebilligt, auch der „Vorwärts" erklärt die Angaben 
für richtig. In der Presse wird vielfach der Meinung Ausdruck gegeben, 
daß die Pläne Chamberlains auf Widerspruch im englischen Kabinett stoßen 
würden. Die Forderung, daß Deutschland sogleich Zollzuschläge über den 
autonomen Tarif hinaus auf die kanadischen Waren legen soll, wird nur 
von der „Deutschen Tages-Ztg." erhoben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.