124 Das Neuische Reich und seine eimelnuen Glieder. (August Mitte —19.)
Mitte August. Angeblicher Plan eines Kaiserschlosses. Prozeß.
Der „Vorwärts“ berichtet, vom Hofe sei die Errichtung eines Kaiser-
schlosses bei Spandau geplant, in das sich die kaiserliche Familie bei etwaigen
sozialdemokratischen Unruhen zurückziehen wolle. Ferner sei die Begrün-
dung eines neuen Wahlbezirkes für das Schloß und Umgebung geplant,
damit das Schloß in einem ausschließlich königstreuen Wahlkreise sich be-
finde. Als Gewährsmänner bezeichnet der „Vorwärts“ den Hofmarschall
v. Trotha und den Architekten Ebhardt. — Beide erklären, von solchen
Plänen nichts zu wissen, und die Erzählung wird in der bürgerlichen Presse
nicht ernst genommen. Am 21. August wird die Redaktion des „Vorwärts"“
durchsucht und Anklage gegen einen Redakteur erhoben wegen Majestäts-
beleidigung in idealer Konkurrenz mit grobem Unfug. Er wird wegen
Majestätsbeleidigung zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt (16. Okt.). Die
Mojestätsbeleidung besteht darin, daß er dem Kaiser Furcht vor dem Volke
und die Absicht, den Plan auch mit ungesetzlichen Mitteln durchzuführen,
unterschiebt.
15.16. August. (Baden.) Staatssekretär des Auswärtigen
Frhr. v. Richthofen besucht den Großherzog auf Schloß Mainau.
Preßgerüchten zufolge sucht der Staatssekretär den Großherzog zu
bestimmen, die Niederlaffung von Orden in Baden zu gestatten.
19. August. (Koburg.) Abgeordnetentag des Verbandes
deutscher evangelischer Pfarrer.
19. August. (Mecklenburg-Schwerin.) In Wismar wird
die hundertjährige Zugehörigkeit der Stadt zu Mecklenburg in An-
wesenheit des Großherzogs gefeiert.
August. Erörterungen über den Kaiser, den Reichskanzler
und die Jesuitenfrage.
Der (evangelisch-orthodoxe) „Reichsbote“ berichtet von Differenzen,
die angeblich zwischen dem Kaiser und dem Grafen Bülow über die Je-
suitenfrage stattgehabt hätten. Der Kaiser habe sich beschwert, daß er über
die Stimmung in der Nation unrichtig informiert worden sei und erst
durch die Proteste des Evangelischen Bundes und die Eingabe des Ober-
kirchenrates (S. 53) die wahre Stimmung der Evangelischen gegen die
Aenderung des Jesuitengesetzes erfahren habe; er habe infolgedessen be-
fohlen, daß Preußen im Bundesrate gegen die Aufhebung des § 2 stimme
(19. Aug.). — Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ erklärt, die Mit-
teilung über den Oberkirchenrat und das Verbot beruhe auf Erfindung;
der „Reichsbote“ hält seine Behauptung über die Auseinandersetzung zwi-
schen Kaiser und Kanzler trotzdem aufrecht. Hierzu bemerkt die klerikale
„Kölnische Volkszeitung“: „Wie man sieht, bleibt der Reichsbote bei seiner
Mitteilung mit der denkbar größten Entschiedenheit. Wir haben die Em-
pfindung, daß angesichts dessen die Sache mit dem Dementi der „Nord-
deutschen Allgemeinen Zeitung“ nicht abgetan sein kann, zumal wenn man
in Betracht zieht, daß der „Reichsbote“ Beziehungen zu Hofkreisen hat.
Das bißchen § 2 des Jesuitengesetzes könnte hiernach leicht von großer
Bedeutung für unsere innerpolitischen Verhältnisse werden. Wie stände
der deutsche Reichskanzler und preußische Ministerpräsident gegenüber dem
Reichstage, wie stände er insbesondere gegenüber der Zentrumsfraktion da,
wenn es nicht gelänge, jeden Zweifel auszuräumen, daß in der Frage der