Das Vensche Reich und seine einzelnen Glieder. (September 3.—8.) 131
fassungen muß als etwas Gegebenes hingenommen werden; von beiden
Seiten haben wir mit der Tatsache zu rechnen, daß man dort in Luther
den Mann sieht, der seinen Anhängern den Weg der Wahrheit gezeigt
habe, während man hier der Ansicht ist, daß er sie in der Irre geführt.“
Der „Bayerische Kurier“ schreibt: „Seine Majestät der Kaiser hat da
wieder einmal als Protestant gesprochen, was zur Beruhigung für jene
dienen mag, die da fürchten, es möge der hochgemute Hohenzollernsproß
eines Tages dem römischen Papst den Steigbügel halten. Wir Katholiken
nehmen es dem Kaiser auch gewiß nicht übel, wenn er seine protestantische
Gesinnung gelegentlich offen bekundet. Anderseits freilich, welche Entrüstung
würde durch das ganze protestantische Lager lodern, wenn sich etwa ein
deutscher katholischer Fürst erlaubte, das Papsttum auf Kosten der Refor-
mation zu verherrlichen! Die Verherrlichung Luthers durch den Kaiser
geschieht aber im Grunde auch nur auf Kosten des Katholizismus, denn
worin soll die „befreiende Tat“ Luthers bestehen, als darin, daß er das
deutsche Volk aus der „römischen Knechtschaft befreit" hat?“
3. September. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl (für
Nöficke) erhält Schrader (fr. Vg.) 11083, Käppler (Soz.) 12 715,
Schirmer (kons.) 3494 Stimmen. Bei der Stichwahl (11. Sept.)
erhält Schrader 14 456, Käppler 13048 Stimmen.
Anfang September. Der „Vorwärts“ und Soldatenmiß-
handlungen.
Der „Vorwärts“ berichtet, daß einer seiner Redakteure einem Ber-
liner Regimentskommandeur schriftlich auf Uebelstände, worüber ihm Mit-
teilungen gemacht worden waren, aufmerksam gemacht habe. Das Militär-
gericht habe von ihm die Nennung des Beschwerdeführers verlangt; da
er diese ablehnte, sei er wegen Zeugnisverweigerung in Haft genommen
worden.
Weitaus die meisten bürgerlichen Blätter tadeln scharf dieses Ver-
fahren, da es die Sozialdemokraten als Märtyrer für die Sache der Unter-
drückten und Mißhandelten erscheinen lasse.
5. September. (Leipzig.) Der Kaiser nimmt die Parade
über das XIX. Korps ab. Beim Paradediner erwidert er auf die
Begrüßung des Königs Georg:
Darf Ich Eurer Majestät nochmals Meinen herzlichen Glückwunsch
zum heutigen Tage zu Füßen legen und dem Armeekorps nochmals von
ganzem Herzen Meine vollste Anerkennung aussprechen für die muster-
gültige Art und Weise, mit der es sich bei der heutigen Parade gezeigt
hat? Unter den Korps das jüngste, hat es in seinen Paradeleistungen es
den ältesten und besten schon gleichgetan. Das verspricht Gutes für die
Zukunft, das verspricht auch, daß, wenn Eure Majestät rufen, das Korps
draufgehen wird wie das älteste! Indem Ich Mein Glas auf das Wohl
des Korps erhebe, trinke Ich zugleich auf das Wohl Seiner Moajestät des
Königs Georg. Hurra! Hurra! Hurra!
6. September. Das Kaiserpaar besucht Halle a. S.
8. September. (Mainz.) Unter Teilnahme des Groß-
herzogs von Hessen wird eine internationale Ausstellung für Photo-
graphie und graphische Künste eröffnet.
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