Bos Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (September 13./19.) 135
Bierkrügen. Zwar sei die Armee der Revisionisten klein, aber weil dieser
Revisionismus durch die Wahlen eine Stärkung erfahren hat und in der
Fraktion zur Geltung kommen will, weil das dann aufs neue unausgesetzte
Kämpfe und Reibereien widerlichster Art gibt, so verlange ich: die Re-
präsentation des Volkes soll entscheiden.
Abg. v. Vollmar: Bebel suche sich zum Diktator der Partei auf-
zuwerfen und jede freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. Ebenso wie
er jetzt die Annahme der Vizepräsidentschaft als elendes Kompromiß be-
kämpft, habe er früher die Beteiligung an den Landtagswahlen bekämpft.
Es ist doch töricht, mit voller Lungenkraft immer wieder zu rufen: Die
Partei ist in Gefahr! Ich behaupte, daß dieses Geschrei niemals mehr der
Berechtigung entbehrt hat, als jetzt, und werde es beweisen. Man spricht
hier von der Volksseele. Man stellt es so dar, als ob das Gefühl der
Volksmasse etwas Untrügliches ist. Die Geschichte aller Zeiten — auch
die Parteigeschichte — lehrt, daß es immer vorgekommen ist, daß das
Volksempfinden sich getäuscht hat, und auch, daß es getäuscht werden kann.
(Beifall und Unruhe.) Bebel sehe sein heftiges Temperament als einen
Freibrief für alles und jedes an, aber er habe durch sein Auftreten in
Bayern unendlich geschadet. In welchem Tone hat denn Bebel gesprochen:
ich werde sagen, ich werde nicht dulden, ich werde den Kopf waschen, ich
werde abrechnen u. s. w. Ich, Ich, Ich, immer Ich — ist das nicht die
Sprache des Diktators? Man lese die Geschichte der englischen Revolution.
So sprach der Lordproktektor Cromwell zum Parlament.. Nicht Bebel,
sondern Kautsky ist in dieser Sache die Hauptperson. Er ist der Fanatiker
der Theorie. (Großer Beifall. Lärm.) Er ist der Partei gewordene
deutsche Professor, der lieber die Welt zu grunde gehen läßt, als daß er
von seinem schönen Lehrgebäude auch nur einen Span herausnehmen läßt.
(Beifall und großer Lärm.) Die Einheitlichkeit der Partei heißt bei ihm
die Alleinherrschaft seiner Ansicht — (Tosender Lärm, Stadthagen und
Zubeil schreien dem Redner gröbliche Beleidigungen zu.) — Vollmar nach
einer Weile: Genossen, ich warte noch eine Weile, bis sich zeigen wird, ob
es noch ein klein wenig Meinungsfreiheit hier gibt. (Erneuter Lärm.)
Parteigenossen, Sie haben Bebel ruhig angehört und da ist es Ihre Pflicht
und Schuldigkeit, auch mich anzuhören (Beifall und lärmende Zurufe),
sonst setzen Sie sich dem Verdacht aus, Terrorismus hier üben zu wollen.
(Bebel: Demagogie! Demagogiel) Hierauf fordert der Redner zur Einig-
keit auf, da bei den bevorstehenden großen Aufgaben keine Zeit zu prinzi-
piellen Streitigkeiten sei.
Abg. Meist verlangt eine schärfere Resolution. Die Zweckmäßig-
keitspolitik und Rechnungsträgerei würde bald dazu führen, daß man
schließlich noch sage: „Wir sind Sr. Majestät allergetreueste Opposition."
Wir brauchen und sollen uns nicht vor einem Konflikt fürchten. Die
Massen erwarten, daß die Partei ihren revolutionären Standpunkt auf-
rechterhalten und daß wir denen, die die Partei davon abdrängen wollen,
den Stuhl vor die Türe setzen. (Stürmischer, donnernder Beifall.) Nach
weiterer lebhafter Debatte, in der u. a. die Abgg. Bernstein und Mol-
kenbuhr gegen Bebel sprechen, wird die Resolution über den Vizepräsi-
denten in folgender Fassung angenommen: „Der Parteitag fordert, daß
die Fraktion zwar ihren Anspruch geltend macht, die Stelle des ersten
Vizepräsidenten und eines Schriftführers im Reichstag durch Kandidaten
aus ihrer Mitte zu besetzen, daß sie es aber ablehnt, höfische Verpflichtungen
zu übernehmen oder irgend welchen Bedingungen sich zu unterwerfen, die
nicht durch die Reichsverfassung geboten sind.“ Ferner werden folgende
Resolutionen angenommen: „Der Parteitag verurteilt auf das entschiedenste