Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

Das Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 15. /Nov. 4.) 147 
Wir rechnen nicht mit den Professoren, welche die Berührungspunkte mit 
anderen Wissenschaften suchen, sondern mit jenen, die sich auf die andere 
Seite stellen. Wir wollen die Probleme anerkennen, aber dazu braucht 
man nicht diese radikalen Geister zu Professoren zu machen. Wenn aus 
der Heiligen Schrift jedes Wunder genommen wird, dann ist es keine 
Heilige Schrift mehr. Professor Kahl: Die einzige Schranke für die 
evangelische Wissenschaft sei die Wahrheit; keine Universität könne Lehrer 
mit gebundener Marschroute ertragen. Reibungen zwischen Kirche und 
Theologie seien eben unvermeidlich. 
Am 31. Oktober stellen Graf Hohenthal und Genossen folgenden 
Antrag: „Generalsynode wolle beschließen: Für den Fall der Annahme 
des Antrages v. Manteuffel diesem folgende Zusätze zu geben: Deun sie ist 
davon überzeugt, daß die für die Theologie der Gegenwart bestehenden 
Schwierigkeiten in der Behauptung und Verteidigung des biblischen Christen- 
tums nur überwunden werden können, wenn die Freiheit der wissenschaft- 
lichen Forschung mit der Gebundenheit an die Tatsachen des Heils in 
Einklang steht. Sie spricht allen Theologen, die durch ihre Arbeit den 
evangelischen Glauben bekräftigen und verteidigen helfen, ihren Dank aus. 
Aber sie erklärt, daß die Kirche es nicht ertragen kann, wenn der Grund- 
satz der Gleichberechtigung der Richtungen sogar auf den Gegensatz der 
naturalistischen und der christlichen Weltanschauung ausgedehnt wird. In- 
dem sie die vorgekommenen Aergernisse beklagt, welche die gläubige Ge- 
meinde verwirren, gibt sie der Gewißheit Ausdruck, daß auch die gegen- 
wärtigen Kämpfe innerhalb der theologischen Wissenschaft schließlich zur 
neuen Begründung und Vertiefung der unveränderlichen Wahrheit des 
Evangeliums führen werden. Sie erkennt es dankbar an, daß der Evan- 
gelische Oberkirchenrat zugesagt hat, in Gemeinschaft mit dem Herrn Kultus- 
minister geeignete Geistliche bei dem Eingreifen des akademischen Berufes 
wirksam zu fördern, und hält es für erwünscht, wenn akademische Lehrer 
zuvor in einem Pfarramt der Kirche gedient haben. An dem Wunsche 
einer Mitwirkung des Generalsynodal-Vorstandes bei der Begutachtung der 
zu berufenden Dozenten hält die Generalsynode fest.“ 
Kgl. Kommissar Propst v. d. Goltz: Die theologische Wissenschaft hat 
einen göttlichen Beruf, den sie nur auf dem Wege der Freiheit erfüllen 
kann. Das ist ja auch von allen Seiten hier anerkannt worden, aber es 
ist vielleicht nicht allen Herren klar genug, daß das Eingreifen einer In- 
stanz, die Gewalt hat, in dieses Gebiet der Freiheit, des Forschens, des 
Lehrens doch den Charakter der Freiheit beeinträchtigen muß, und daß es 
deshalb eine Sache der Vorsicht, des Taktes ist, daß auch nicht der Schein 
entsteht, als ob irgendwelche Beschränkung beabsichtigt sei. Der Ober- 
kirchenrat ist stets mit großer Zurückhaltung an alles herangetreten, was 
etwa die heutige ebenbürtige Stellung der Theologie im Organismus der 
Universitäten verletzen und schädigen könnte. Es ist hier auch von denen, 
die ein mehreres im Interesse der Kirche tun wollen, gesagt, sie denken 
nicht daran, die Erziehung der jungen Theologen den Universitäten zu 
nehmen, aber die Absicht tut es nicht allein. Man darf auch nicht Schritte 
unternehmen, die in ihrer Konsequenz schließlich dazu führen, daß die Er- 
ziehung in die Bahn der Seminarien hineingeleitet wird. Nach meiner 
Ueberzeugung wird das eintreten, wenn auch auf Umwegen, sobald eine 
missio canonica in unseren Protestantismus hineingetragen wird. Das 
Ende würde sein, daß der Staat nicht mehr gegenüber den Forderungen, 
die gestellt werden, den theologischen Fakultäten den ebenbürtigen Platz 
neben den anderen Fakultäten lassen kann (Sehr richtig!), und ebenso ist 
für die Kirche die notwendige Konsequenz, nicht gleich, aber nach einem 
10“
	        
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