Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

Das Veensche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 18. 20./27.) 155 
ein Bestrafer des Unrechts zu sein, auch nur einigermaßen gerecht werden. 
Ist dieses Ziel, das wir dem Staate zuschreiben, auch das Eure, so unter- 
stützt unsere Kandidaten durch Eure Stimmen bei den Wahlen! An unsere 
Parteigenossen aber richten wir die Aufforderung, so weit es noch nicht 
geschehen ist, unverzüglich in die Wahlagitation einzutreten und alles auf- 
zubieten, was in ihren Kräften steht, um den Ausfall der Wahlen am 
12. und 20. November zu einem für die Partei möglichst günstigen zu 
gestalten. Hoch die Sozialdemokratie! Das Zentral-Wahlkomitee für die 
preußischen Landtagswahlen: Auer, Bebel, Eberhardt, Gerisch, Pfannkuch, 
Singer, Wengels. 
18. Oktober. (Berlin.) Der Parteitag der (antisemitischen) 
Deutschen Reformpartei spricht sich gegen die Beteiligung von 
Staatsbeamten an Konsumvereinen, Warenhäusern und Produktiv= 
genossenschaften aus. 
20./27. Oktober. (Bayerische Abgeordnetenkammer.) 
Etat. — Ministerwechsel. Krone und Parlament. Beziehungen 
zum Reiche. 
Abg. Schädler (3.) bespricht die Veränderungen im Ministerium. 
Das Zentrum habe den Grafen Crailsheim ohne Bedauern scheiden sehen, 
aber es fordere kein Parteiministerium wie die Liberalen, sondern wünsche, 
daß alle Staatsbürger vom Staate gleich behandelt würden. Der religiöse 
Friede werde durch die Agitation des Evangelischen Bundes getrübt, der 
heftige Angriffe auf die katholische Moraltheorie richte; die katholische Ab- 
wehr werde durch die Polizei behindert. Die Unterscheidung zwischen reli- 
giösem und politischem Katholizismus sei Heuchelei. Der Staat solle den 
unsittlichen Darstellungen in Literatur und Kunst sowie dem Unglauben 
auf den Hochschulen entgegentreten. Abg. Wagner (lib.) bestreitet, daß 
Graf Crailsheim, wie Schädler behaupte, liberale Politik getrieben habe; 
er sei dem Zentrum vielmehr weit entgegengekommen, aber ohne es be- 
friedigen zu können. Anscheinend habe die Krone einem Druck des Zen- 
trums bei der Entlassung Crailsheims nachgegeben. Eine weitere Auf- 
klärung über diese Frage sei erwünscht. Die Vorwürfe über Störung des 
religiösen Friedens durch die Protestanten seien ungerecht. Das Zentrum 
verdanke seine Erfolge vor allem den Wahlbeeinflussungen durch Beicht- 
stuhl und Kanzel. Ministerpräsident Frhr. v. Podewils gibt folgende 
Erklärung über den Personenwechsel: Die Minister auszuwählen, zu er- 
nennen und die Minister zu entlassen, ist nach unserer Verfassung aus- 
schließliches Recht der Krone. Dieses unbeschränkte Recht, für dessen Aus- 
übung eine Verantwortlichkeit gegenüber dem Landtag nicht begründet ist, 
hat erst im vorigen Jahre noch Staatsminister Graf Crailsheim hervor- 
gehoben und es ist gegen diese feststehende Auffassung von keiner Seite 
eine Einwendung erhoben worden. Die königliche Staatsregierung könnte 
sich in der Beantwortung der gestellten Frage auf diesen Hinweis be- 
schränken. Dieselbe hat sich aber, schon um Legendenbildungen vorzubeugen, 
die allerhöchste Ermächtigung erbeten, dem noch die folgenden Mitteilungen 
anfügen zu dürfen, denen nicht die Bedeutung einer Verantwortung bei- 
gelegt werden kann. Als Grund für die Ministerkrisis im Februar lau- 
fenden Jahres hat seinerzeit eine offizielle Mitteilung Differenzen über die 
Behandlung gewisser Angelegenheiten bezeichnet. Die Meinungsverschieden- 
heiten betrafen, wie damals schon angedeutet wurde, die Frage, ob der 
Vorsitzende im Ministerrate zu gewissen Handlungen ohne vorherige Füh-
	        
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