Nas Venische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.) 177
Gelegenheit erklären, daß Sie nicht auf demselben nationalen Boden ständen
wie wir (Beifall. — Abg. Bebel: Sehr richtig!), und dann, wenn ich mich
wirklich zum Millerand entwickeln oder mir einen Millerand zulegen würde
Heiterkeit), diesem Millerand von keiner Seite mehr Knüppel zwischen die
äder geschoben werden würden, als von dem Herrn Abg. Bebel. (Sehr
richtig! Heiterkeit.) Darüber, Herr Bebel, werden Sie sich doch selbst nicht
nach den Verhandlungen des Dresdener Parteitages irgendwie im Zweifel
sein. (Lebhafter Beifall und stürmische Heiterkeit.) Ich habe vor einem
Jahr gesagt, daß von einem Stillstand der sozialpolitischen Gesetzgebung
nicht die Rede sein könne, daran halte ich vollkommen fest. Die Ver-
bündeten Regierungen werden sich, wie Sie aus der Thronrede ersehen
haben, in ihren arbeiterfreundlichen Bestrebungen nicht irre machen lassen.
Wir werden auch weiter bestrebt sein, Leben und Gesundheit der Arbeiter
immer besser zu schützen. Wir werden auch versuchen, die großen Fragen
der Arbeitszeit und der Arbeiterverfassung, der Frauen-- und Kinderarbeit,
der Lohnzahlungsmethode so weit zu lösen als möglich ist unter voller
Aufrechterhaltung unserer Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Wir
betrachten es als die Pflicht des Staates, wie, wenn ich nicht irre, mein
so kompetenter Nachbar, der Herr Graf Posadowsky einmal, ich glaube in
Düsseldorf, gesagt hat, den Arbeiter in möglichst umfassender, in möglichst
wenig bedrückender, dem Stande unserer heutigen Kultur entsprechender
Weise gegen Gefahren seines Berufslebens zu schützen. Wir wollen nicht
nur fortführen, was auf dem Gebiete des Arbeitsschutzes und der Arbeiter-
versicherung schon geschaffen ist, sondern wir hoffen auch, nach und nach
denjenigen Aufgaben näher treten zu können, die noch der Lösung harren.
Diese Aufgaben sind für das nächste Jahrzehnt die Witwen- und Waisen-
versorgung, und ich hoffe, auch später einmal die Arbeitslosenversicherung.
Wir werden aber diese Aufgabe nur lösen können, wenn wir auf der
sozialen Bahn, wenn wir in dem, was ich den Kampf gegen das mensch-
liche Elend nenne, Schritt für Schritt vorgehen, ohne den Boden der
Wirklichkeit unter den Füßen zu verlieren, ohne durch Forderungen, wie
sie von sozialdemokratischer Seite gestellt werden, unser ganzes wirtschaft-
liches Leben mit Katastrophen zu pehroe Durch Forderungen, von
denen jeder weiß, daß sie nicht oder noch nicht realisiert werden können,
wird lediglich ein besonnener und stetiger Fortschritt auf der sozialen Bahn
erschwert. Und indem Sie fortgesetzt solche Forderungen erheben, erleichtern
Sie nicht die sozialpolitische Reform, wie dies Herr Bebel mir in freund-
liche Aussicht stellen wollte, sondern Sie erschweren sie. (Sehr wahr!) Es
gibt noch eine andere Ursache, welche die sozialpolitische Gesetzgebung er-
schwert. Herr Bebel hat niemals ein Hehl daraus gemacht, daß er ein
Gegner der heutigen Verfassung, ein Gegner der Monarchie, ein Republi-
kaner ist. Durch nichts aber werden die Bestrebungen zugunsten der Ar-
beiter mehr erschwert und nichts ist ein größeres Hemmnis für die Ver-
besserung der Lage der Arbeiter als die Art und Weise, wie von sozial-
demokratischer Seite verquickt werden die Bestrebungen zugunsten der
Arbeiter mit antimonarchischen Zielen und Tendenzen (Sehr wahr! und
Lärm bei den Sozialdemokraten), und nichts ist unlogischer. Die Geschichte
beweist, das die Sozialreform eines Landes völlig unabhängig ist von seiner
Staatsverfassung. Die Geschichte beweist ferner, daß es mit der Republik
allein auch nicht getan ist. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich
habe auch in Republiken gelebt und stehe solchen Fragen sehr objektiv
gegenüber, ich kann Sie versichern, daß da auch mit Wasser gekocht wird
(Heiterkeit), und daß es da auch sehr häufig hapert, und daß es ein Irr-
tum ist, zu glauben, daß es irgend ein politisches Universalserum gäbe,
Europeischer Geschichtskalender. XIIV. 12