Das Penische Reithh und seine einzjelnen Glieder. (Dezember 10.) 179
Koalitionsfreiheit anderer Parteien weniger geachtet, als die Sozialdemo-
kratie. (Großer Lärm bei den Sozialdemokraten, Zustimmung bei den
anderen Parteien.) Daß Ihnen das nicht gefällt, weiß ich wohl. Das ist
aber kein Grund, mich beständig zu unterbrechen. Ich habe Herrn Bebel
nicht unterbrochen. Ich denke, wir wollen von beiden Seiten hübsch an-
ständig diskutieren. (Zustimmung.) Ich sage also, keine Partei hat die
Redefreiheit und Versammlungsfreiheit anderer Parteien weniger respektiert,
als die sozialdemokratische. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Keine
Partei führt gegenüber den Führern anderer Parteien eine rohere, eine
freiheitsfeindlichere Sprache als die Sozialdemokratie. (Unruhe bei den
Sozialdemokraten.) Und welche Tyrannei üben Sie auf den Bauplätzen
und den Werkstätten gegenüber dem einzelnen Arbeiter, der sich der Sozial-
demokratie nicht unterwerfen will! Wie gewaltsam gehen Sie vor, wie
tyrannisch in den Krankenkassen-Verwaltungen! (Großer Lärm bei den
Sozialdemokraten. gei richtig! rechts.) Und wie ist es mit der Meinungs-
freiheit bei Ihnen bestellt? Sie reden, meine Herren, immer über das
finstere Mittelalter. Es hat niemals ein Konzil gegeben, wo eine solche
Unduldsamkeit, Engherzigkeit und Ketzerriecherei geherrscht hat, als auf
Ihrem letzten Parteitage. Keine Erklärung, keine Bulle ist je so intolerant
abgefaßt worden, wie damals die Erklärung des Abg. Bebel. Wie war
es denn nach den Wahlen? Als da der Abg. Bernstein eine gewisse Sehn-
sucht durchblicken ließ nach einem sozialdemokratischen Vizepräsidenten
(Lachen bei den Sozialdemokraten), erfuhr er von dem Abg. Bebel einen
Rüffel von einer Schärfe, die ich nicht gegenüber dem jüngsten Beamten
in einem der mir unterstellten Ressort zur Anwendung bringen würde.
(Heiterkeit.) Da nehme ich alle die Herren zu Zeugen, die hinter mir
stehen. (Heiterkeit.) Sie haben ja in Dresden förmliche Exkommunikationen
ausgeübt, excommunicatio major und minor. (Heiterkeit.) Sie haben
einen Index aufgestellt, in welchen Zeitungen geschrieben werden soll und
in welchen nicht geschrieben werden soll. Reden Sie uns von allem, nur
nicht von Freiheit! (Sehr gutl) Die Freiheit, die Sie meinen, ist die
Willkür für Sie, der Terrorismus für die andern. (Beifall.) „Und willst
Du nicht mein Bruder sein, so schlag’' ich Dir den Schädel ein!“ (Stür-
mische Heiterkeit.) Herr Bebel hat hier eine Rede gehalten, wo sich eine
kritische Bemerkung an die andere reihte, wie eine Perle an die andere,
und wenn ich der Sozialdemokratie ein Zeugnis auszustellen hätte, so
würde ich sagen: Kritik, Agitation und — das gebe ich Ihnen vollkommen
zu, da können Sie sehen, wie objektiv ich bin — Disziplin und Opfer-
freudigkeit la (Große Heiterkeit), positive Leistungen, Klarheit des Pro-
gramms Vb. (Stürmische Heiterkeit. Einzelne Abgeordnete klopfen vor
Vergnügen auf den Tisch.) In den 80er Jahren beschäftigte sich Fürst
Bismarck mit dem Anwachsen der Sozialdemokratie. Mein großer Amts-
vorgänger sagte damals: „Ich bin über diese Vergrößerung gar nicht un-
glücklich. Je größer die Zahl der sozialistischen Abgeordneten wird, desto
mehr wird ihnen die Ehrenpflicht obliegen, doch bald mit positiven Plänen
hervorzutreten und zu sagen, wie sich in ihrem Kopf die Zukunft der
Welt und die Verfassung gestaltet. Bisher sind Sie damit im Rückstand
geblieben. Was dasteht, ist alles schlecht. Das unterliegt Ihrer Kritik,
wird alles verworfen. Die Kritik ist außerordentlich leicht, aber das Besser-
machen! Meine Herren, wenn ich doch endlich eine Verfassung, eine solche
Gesetzgebung sehen könnte, wie die gerren Führer der Sozialdemokratie
sie sich denken. Sie sind jetzt 25; das zweite Dutzend haben Sie also.
Ich will Ihnen noch das dritte geben. Wenn Sie aber 36 sind, erwarte
ich mit Sicherheit, daß Sie Ihren vollen Operationsplan zur Verfassung,
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