Bie Herreichisch-ungerische Monarchie. (Juni 26. 30.) 203
26. Juni. (Cisleithanien.) Das Ministerium Körber reicht
seine Demission ein.
Das Wiener „Fremdenblatt" schreibt darüber: Das Kabinett Körber
wurde zu seinem Entschluß nur durch die Wendung der Dinge in Ungarn,
namentlich durch die Art und Weise gebracht, unter welcher dort die Wehr-
vorlage zurückgezogen wurde. Es kamen dabei sowohl die früheren von
der Regierung bezüglich der Vorlage im österreichischen Parlament ein-
gegangenen Verpflichtungen in Betracht, als auch die möglichen Nach-
wirkungen ihres Aufgebens auf die österreichischen Verhältnisse. Die Ver-
suche, den Rücktritt des Kabinetts auf andere Beweggründe zurückzuführen,
widersprechen den offenkundigen Tatsachen.
30. Juni. (Cisleithanien.) Die „Wiener Zeitung“ gibt
bekannt, daß auf Grund des § 14 durch kaiserliche Verordnung ein
sechsmonatiges Budgetprovisorium dekretiert worden ist.
30. Juni. (Ungarn.) Abgeordnetenhaus. Programmrede
des Grafen Khuen. Haltung der Opposition.
Die Münchener „Allg. Ztg.“" berichtet darüber: Nach den einleitenden
Worten, die sich auf seine Ernennung zum Ministerpräsidenten beziehen,
führte Graf Khuen-Hedervary etwa aus: Der Ausgangspunkt der parla-
mentarischen Wirren und der außergesetzlichen Zustände ist bekanntlich die
Gesetzvorlage betreffend das erhöhte Truppenkontingent gewesen. Wir
haben uns im Interesse der Wiederherstellung geordneter Zustände im Ab-
geordnetenhause entschlossen, die Verhandlung jener Vorlage einstweilen
auszusetzen.. Bei diesem Worte „einstweilen“ erhebt die Linke tosenden
Widerspruch. Entrüstete Zurufe werden laut. Das Wort „einstweilen“
wird höhnisch wiederholt. Die Abgg. Polonyi und Barabas schreien: Be-
trug, Wortbruch! Wir sind überlistet! Wir werden „einstweilen“ weiter ob-
struieren! Der Präsident gibt ein Glockenzeichen, ruft die Abgg. Zoltan
und Lengyel zur Ordnung und ermahnt zur Ruhe, jedoch ohne Erfolg.
Präsident Apponyi ruft schließlich: Es ist die elementarste Forderung der
Gerechtigkeit, den Redner nicht auf Grund eines unterbrochenen Satzes,
den er nicht zu Ende führen konnte, anzugreifen! Hierauf vermochte der
Ministerpräsident seine Rede fortzusetzen und erklärte, daß die Beratung
des Gesetzentwurfs über die Erhöhung des Rekrutenkontingents suspendiert
werde, weil in einer später einzureichenden Wehrvorlage ohnehin ein er-
höhtes Kontingent enthalten sei. Für dieses Jahr werde nur das normale
Kontingent beansprucht. Mit der Einreichung der organisatorischen Wehr-
vorlage werde der derzeitige Gesetzentwurf als überflüssig zurückgezogen,
nicht bloß suspendiert ... Wieder ertönen Zurufe von rechts, welche
einen gewaltigen Lärm veranlassen. „Schändlich“, „empörend“, hört man
rufen. Dann konnte der Ministerpräsident wieder ruhig in seiner Rede
fortfahren. Er bespricht das Arbeitsprogramm des Hauses und erklärt,
er werde die Ermächtigung verlangen, mit den Handelsvertragsverhand-
lungen zu beginnen, ehe der Zolltarif fertiggestellt sei. Dies sei, zumal
mit Rücksicht auf den Handelsvertrag mit Italien, notwendig. Der
Ministerpräsident geht sodann auf die Einzelheiten seines politischen Pro-
gramms über und erklärt sich als überzeugten Anhänger des Dualismus
und der gemeinsamen Armee. Er betont, daß er für alle Maßregeln zur
Förderung der Wehrkraft, die übrigens nie zu den Interessen der Nation
im Gegensatz stehe, eintreten werde. Er sei ein treuer Anhänger der libe-
ralen Prinzipien, da sie in der geschichtlichen Ueberlieferung begründet