Die erreichisczungerische Menarhie. (November 20.) 227
Die vereinigten deutschen Parteien und die Klerikalen interpellieren
die Regierung wegen der Angriffe Tiszas auf Oesterreich. Tiszas Auf-
fassung sei geeignet, auf die Führung, Leitung und innere Organisation
der gesamten Armee eine Rückwirkung auszuüben, und daß infolgedessen
der Reichsrat das Recht und die Pflicht habe, diese Rückwirkung nach
allen Richtungen hin in Erwägung zu ziehen, um so mehr, als die dies-
seitige Reichshälfte zu den Kosten des gemeinsamen Heeres mehr als zwei
Drittel beitrage. Graf Tisza habe zudem einen Ton angeschlagen, der um
so mehr als unerhört bezeichnet werden müsse, als Dr. v. Körber seiner-
seits zweifellos in entgegenkommender Weise gesprochen hatte und als die
Rede des Grafen Tisza an eine Regierung gerichtet war, welche unter
demselben Monarchen dieselben verfassungsmäßigen Pflichten ausübt, wie
die ungarische Regierung, und mit welcher gerade im gegenwärtigen Augen-
4 die für beide Staaten wichtigsten Angelegenheiten verhandelt werden
müssen.
Ministerpräsident v. Körber: Er habe, als er in der letzten Sitzung
des Abgeordnetenhauses ein Bild der innerpolitischen Lage entwarf, natur-
gemäß auch die Militärfrage berühren und seine Anschauungen über deren
esetzliche Grundlagen entwickeln müssen. In einer Uebergehung dieser
rage hätte das Haus eine ernstliche Mißachtung seiner Prärogative er-
kennen können. Bei gewissenhafter Interpretierung der auf die öster-
reichische Reichshälfte bezüglichen Ausgleichsgesetze habe er den Wortlaut
dieser Gesetze zitiert, der im Laufe der Zeit leider vielfach verdunkelt wor-
den sei. Er könne den Wert begreifen, welchen der ungarische Minister-
präsident auf die Konstatierung des Rechtes des ungarischen Reichstages
lege, die Ausgleichsgesetze im Einverständnisse mit der Krone selbständig
zu modifizieren, aber auch Tisza habe zugeben müssen, daß eine solche
Aenderung jeder praktischen Geltung entbehre, so lange sie nicht auf gesetz-
lichem Wege auch in Oesterreich beschlossen werde. Ich kann mich — fährt
Herr v. Körber fort — ebensowenig wie irgend ein Oesterreicher chauvi-
nistisch an eine Formel halten, sondern muß das Wesen der Sache berück-
sichtigen, welches darin besteht, daß der Inhalt der Ausgleichsgesetze für
beide Teile so lange verbindlich bleibt, als er nicht von beiden Teilen auf
gesetzlichem Wege geändert wird. An dieser unerschütterlichen, vielleicht
recht bürgerlich aussehenden, aber in der Wahrheit wurzelnden Ueber-
eugung halte er fest. Er verweise darauf, daß auch der ungarische
inisterpräsident bei der Aufstellung seiner Theorie sich auf das Aus-
gleichsgesetz beziehen mußte, weil dies eben ein unübersteigliches Hindernis
sei, das zum Vorteil der Monarchie einseitigen Aspirationen im Wege
stehe. Es ist gewiß wahr, daß wir im Interesse der Monarchie auch unter
schmerzvollen Erregungen Entgegenkommen bis zum äußersten bewahren.
(Justimmung bei den Deutschen. Zwischenrufe bei den Tschechisch-Radi-
alen; Gegenrufe: So gehen Sie doch nach Ungarn! Neuerliche Unter-
brechung seitens der Tschechisch-Radikalen und stürmische Rufe der Mehr-
heit: Ruhe! Ruhe! Ruhe! Der Präsident ruft alsdann den tschechischen
Abg. Choc zur Ordnung.) Aber wenn man uns zumutet, uns unser Recht
zu reklamieren und zu bezeugen, streitig machen zu lassen, wenn man be-
ansprucht, daß wir überhaupt österreichisches Recht preisgeben, so sage ich:
Niemals! (Stürmischer Beifall der großen Mehrheit des Hauses.) Und
so wenig unser Recht angetastet werden darf, so wenig lassen wir diese
Platze hier als minderwertige hinstellen, denn sie sind uns im Namen des
taates anvertraut und wir haben sie zu verteidigen wie der Soldat die
Ehre der Fahne. (Lebhafter Beifall.) Wenn, was Gott verhüten wolle,
das Wort „Fremder“ jemals in dieser Monarchie für den Angehörigen
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