Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

250 Großbritannien. (Mai 15.) 
werden. Aber daneben beanspruchen die Fragen von Handel und Gewerbe 
die allergrößte Aufmerksamkeit. Bevor nicht diese Fragen in der richtigen 
Weise geordnet sind, glaube ich nicht an ein zukünftiges Zusammenhalten 
des Reiches. Ich höre die „Klein-Engländer“" einwenden, daß unser Handel 
mit diesen Kolonien viel geringer ist als unser Handel mit dem übrigen 
Ausland, und daraus glaubt die Opposition schließen zu dürfen, daß wir 
alles, was in unserer Macht steht, tun sollen, um unsere Handelsbe- 
ziehungen zu dem nichtbritischen Auslande zu festigen, selbst wenn wir 
darüber den Handel in unseren eigenen Kolonien vernachlässigen. Nein, 
meine Herren, das ist meine Ansicht nicht. Ich denke vielmehr gerade 
entgegengesetzt. Es ist die Aufgabe eines britischen Staatsmannes, selbst 
unter Opfern alles zu tun, was in seiner Macht steht, um den Handel 
der Kolonien mit Großbritannien stark und kräftig zu erhalten, ihn weiter 
zu entwickeln, selbst wenn wir darum auf dem Weltmarkt weniger kon- 
kurrenzfähig werden sollten. Tun wir nun gegenwärtig alles, um die 
Strömung, die ich nicht nur in unserer Heimat, sondern auch in allen 
Kolonien konstatieren konnte, in den richtigen Kanal zu lenken? Tun wir 
alles, um die Reichsunion herbeizuführen oder treiben wir einer Trennung 
zu? Das ist die kritische Frage. Meiner Ansicht nach liegen die Keime 
einer föderativen Union, welche das britische Reich mächtig und einfluß- 
reich machen sollen, im Boden. Aber es ist eine feine und empfindliche 
Pflanze, der wir unsere Fürsorge angedeihen lassen müssen. Wir haben 
es in unserer Macht, die große Idee, den großen Gedanken Früchte tragen 
zu lassen, oder ihn ein für alle Mal auszuschalten. Was bedeutet uns 
nun das Reich? Wir hatten einen Krieg durchzufechten, an welchem die 
meisten unserer Stammesgenossen in den Kolonien kein direktes Interesse 
hatten. Dennoch haben sie viel getan. Trotzdem habe ich in Südafrika 
nicht gezögert, unseren Landsleuten zu sagen, daß sie zwar viel, aber nicht 
genug getan haben, daß sie im wesentlichen die ganze Last auf den 
Schultern des Mutterlandes belassen haben und daß sie in Zukunft, wenn 
sie Wert auf ein großes britisches Reich legten, bereit sein müßten, einen 
größeren Anteil zu tragen. In der Handlungsweise unserer Kolonien 
während und nach dem Kriege kommt zum erstenmal der Gedanke einer 
gemeinsamen Reichsverantwortlichkeit zum Ausdruck. Dieser Gedanke ist 
neu, und ich habe nichts dazu getan, ihn zu erwecken. Und dieser Gedanke 
trat den Kolonialen zum erstenmal entgegen in Gestalt einer finanziellen 
Last, die sie auf sich nehmen sollten, und Sie wissen ja selbst, wie die 
Leute über solche finanzielle Lasten zu denken pflegen. Inzwischen tun sie 
aber in einer anderen Richtung viel und suchen die Gemeinschaft in ihrer 
eigenen Weise und mit ihren eigenen Mitteln zu fördern. Das wichtigste 
dieser Mittel ist, daß sie uns Vorzugstarife anbieten. Das ist eine Sache, 
die gerade im gegenwärtigen Moment von größter Bedeutung für uns 
sein muß. Es hängt nun davon ab, wie wir uns zu dieser Politik der 
Kolonien stellen — denn die Anregung kommt nicht von uns, sondern 
von unseren Kindern — ob diese Politik in der Zukunft ausgebaut, oder 
ob auf sie als eine unannehmbare Sache verzichtet werden soll von denen, 
welchen man damit eine Wohltat zu erweisen gedachte. Kurz nachdem 
ich Südafrika verlassen hatte, fand dort eine Konferenz statt, deren Ergebnis 
es war, daß den Einzellegislaturen empfohlen wurde, uns auf alle zoll- 
pflichtigen Waren eine Ermäßigung von 25 Prozent zu gewähren. Auf 
der Kolonialkonferenz im vorigen Jahre erklärten sich der Premier von 
Australien und der von Neu-Seeland im Prinzip für die Gewährung 
der gleichen Begünstigung. Das ist nun wieder ein neues Kapitel in 
unserer Reichsgeschichte. Die Aufnahme, welche die Empfehlungen der
	        
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