Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

Greßbritaunien. (Mai Ende. Juni 9.) 255 
wenn man Vergeltungsmaßregeln ergreifen wollte für den Fall, daß die 
Kolonien durch Repressalien fremder Mächte geschädigt würden. Es sei 
aber auch denkbar, daß der eigene britische Handel gegen ungerechten 
Wettbewerb geschützt werden müsse. 
Ende Mai. Anfang Juni. Im Anschluß an Chamberlains 
Birminghamer Rede und die Parlamentsdebatten wird in der Presse 
die künftige Handelspolitik und der deutsch-kanadische Zollstreit 
lebhaft erörtert. Die konservative Presse stimmt im allgemeinen 
Chamberlain zu, die liberale ist skeptischer. 
9. Juni. (Bishop Stortford.) Lord Rosebery erklärt sich 
in einer öffentlichen Rede scharf gegen die Preisgabe des Frei- 
handels, weil dadurch England der Hungersnot ausgesetzt werden 
würde. 
9. Juni. (Unterhaus.) Debatte über die Handelspolitik. 
Gegensatz Ritchie-Chamberlain. 
Abg. Chaplin (kons.) beantragt, den Getreidezoll nicht abzuschaffen. 
Der Vorschlag der Regierung, diesen Zoll wieder abzuschaffen, sei von zahl- 
zosen Freunden der Regierung mit Unbehagen und Mißfallen ausgenommen 
worden. Jeder Grund, der während des letzten Jahres geltend gemacht 
worden sei, spreche dafür, daß der Zoll jetzt in Kraft bleibe. Die Ab- 
schaffung des Zolles sei den Ansichten Chamberlains entgegengesetzt. Die 
Politik der Regierung, die einzige Waffe wegzuwerfen, mit der sie die von 
Chamberlain verkündeten großen Ideen zur Verwirklichung bringen könnte, 
sei unbegreiflich. Abg. Hicks Beach (kons., früher Schatzsekretär): Er 
selbst habe im vorigen Jahre den Getreidezoll infolge des ungeheueren 
Anwachsens der Staatsausgaben als dauernden Zoll vorgeschlagen, freue 
sich aber, daß der Schatzkanzler Ritchie eine Verminderung der Ausgaben 
für die Armee versprochen habe, für die das Geld nach seiner Ansicht am 
schlechtesten ausgegeben werde. Er habe den Zoll als fiskalische Maßnahme 
und nicht als Schutzzoll vorgeschlagen, aber in einigen Kreisen scheine an- 
genommen zu werden, daß der Zoll für Zwecke der kolonialen Vorzugs- 
behandlung gebraucht werden soll. Wenn die Regierung beschlossen habe, 
den Zoll aufzuheben, um jenes Mißverständnis zu beseitigen, so habe sie 
einen guten Grund gehabt, ein solches Verhalten einzuschlagen. (Beifall.) 
Ich stimme mit Chamberlain darin überein, daß seiner Birminghamer 
Rede zu viel Bedeutung beigelegt worden ist. (Gelächter.) Aber Herr 
Chamberlain hat seine Ansichten bei verschiedenen Gelegenheiten nach- 
einander mit Nachdruck geltend gemacht, und was wichtiger ist, Herr Bal- 
four hat über diesen Gegenstand eine Rede gehalten. Die Stellungnahme, 
die Herr Balfour vorgeschlagen hat, ist vollkommen unmöglich, sie ist weder 
der Regierung noch der konservativen Partei würdig. Haben wir die An- 
sichten Chamberlains als diejenigen des gesamten Kabinetts aufzufassen? 
Die Abschaffung des Getreidezolles scheint mir geradezu ein Riegel zu sein 
gegen die Annahme von Bevorzugungsgrundsätzen. (Beifall bei der Oppo- 
sition.) Die Angelegenheit kann nicht lange in dem gegenwärtigen Stande 
gelassen werden. (Beifall.) Eine wesentliche Aenderung in der Finanz- 
politik des Landes ist vorgeschlagen. Die Aenderung kann nur ausgeführt 
werden mit Zustimmung der öffentlichen Meinung Großbritanniens. Glau- 
ben die Herren Chamberlain und Balfour wirklich, daß sie Aussicht haben,
	        
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