Großbritannien. (Juni 9.) 257
waren. Der Zoll wurde in der geeigneten Weise erhoben, in einer Zeit
großer nationaler Not. Er wird nun abgeschafft, da sich uns wieder
freundlichere Aussichten eröffnet haben. Darin liegt keine Inkonsequenz,
tnd ach glaube, daß unser Vorgehen von dem Lande unterstützt wird.
eifall.
Am folgenden Tage stimmt Abg. Asquith (lib.) Ritchie zu und
fragt, wie sich diese Ansichten mit denen Chamberlains vertrügen. Wir
sehen zwei Minister auf derselben Bank, welche unversöhnlich geteilte An-
sichten haben über Fragen, welche näher als irgend eine andere Frage die
Einheit des Reiches und seine fiskalische und finanzielle Wohlfahrt berühren.
Das steht ohne Vorgang und beispiellos da und bedeutet ein gänzliches
Aufgeben der Ueberlieferungen und Regeln des öffentlichen Lebens. Da-
gegen, daß in einer so wichtigen Sache zwei verantwortlichen Ministern
gestattet werden soll, nicht nur entgegengesetzte Ansichten auszusprechen,
sondern sich auch als Propagandisten zweier miteinander unverträglichen
Anschauungen zu gebaren, erhebe ich Einspruch nicht nur im Namen der
Opposition, sondern auch im Namen der Majorität des Hauses. Ich pro-
testiere gegen eine Praxis, welche, wenn sie gestattet würde, der mini-
steriellen Verantwortlichkeit und der Kontrolle des Kabinetts ein Ende
machen würde.
Premierminister Balfour: Mit dem Korngoll sei nicht eine Schutz-
zollmaßregel beabsichtigt gewesen, sondern er sei eingeführt worden, weil
die Regierung Geld brauchte, und er werde abgeschafft, weil die Regierung
die Einnahmen aus diesem Zoll nicht mehr nötig habe. (Heiterkeit.) Ueber
die Ministerverantwortlichkeit herrschen große Mißverständnisse. Was man
von einer Regierung verlangen könne, sei gemeinsames Handeln unter ge-
meinsamer Verantwortlichkeit. Eine Gleichmäßigkeit in Aeußerungen der
Minister sei aber nicht erforderlich. Niemand, der die menschliche Natur
kenne, erwarte absolute Uebereinstimmung der Ansichten, niemand nehme
an, daß in einem Kabinett jeder Minister mit jeder Maßnahme einver-
standen sei. Wenn aber ein Minister glaube, daß eine zwischen ihm und
seinem Kollegen herrschende Meinungsverschiedenheit nicht bedeutend genug
sei, um seinen Rücktritt zu rechtfertigen, so habe er auch die Verantwor-
tung für die Handlungen der Regierung mitzutragen: das sei eine gesunde
Auffassung der konstitutionellen Lehre. Der Schwerpunkt der gegen ihn
erhobenen Anklagen liege darin, daß er nicht eine Erklärung im Namen
seiner Kollegen und seiner Partei abgegeben habe über gewisse große fis-
kalische und koloniale Probleme, die durch jüngst gehaltene Reden auf-
geworfen worden seien. Er würde aber von seiner Pflicht abgewichen sein,
wenn er jetzt bei dieser oder irgend einer anderen Gelegenheit irgend eine
die Finanzen betreffende Erklärung abgegeben hätte. Er gehöre nicht zu
den selbstvertrauenden Leuten, welche glaubten, daß ein unter ganz anderen
Umständen eingeführtes Finanzsystem ewig in Kraft bleiben müsse. (Bei-
fall.) Er glaube aber nicht, daß England jemals zu den absurden, kom-
plizierten Tarifen zurückkehren solle, deren Reform im Jahre 1842 be-
gonnen habe. Was die Frage der Verwendung von Kampftarifen bei
Handelsvertragsverhandlungen anlange, so seien seine Ansichten darüber
bekannt. „Ich habe 1881 ausgeführt, daß die Möglichkeit, fremde Nationen
dadurch zu Konzessionen zu bewegen, daß wir ihnen Tarifkonzessionen ge-
währen, zu Ende gehen würde, und daß ich nicht einsehe, wie in Zukunft
über günstige Bedingungen verhandelt werden könnte, wenn wir nicht die
Macht hätten, etwas wie eine Wiedervergeltung entgegenzusetzen. Seit
1881 sind in den großen Ländern, mit denen wir zu verhandeln wünschen,
viele Tarife zu stande gekommen, die für uns ungünstig sind. Wir haben
Europeischer Geschichtskalender. XIV. 17