Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

270 Greßbrilannien. (September.) 
der von den Kolonien eine Einschränkung der allseitigen Entwicklung der 
Schutzzollpolitik, von unserem Lande aber den Uebergang zu einer Bevor- 
zugungspolitik, soweit die Hauptprodukte der Kolonien in Betracht kommen, 
zu fordern schien. Ueber die ersterwähnte Anforderung sage ich nichts, 
aber wenn die zweite, wie dies sicher der Fall ist, eine sei es auch noch 
so geringe Verzollung von Lebensmitteln in sich schließt, so bin ich mit 
Ihnen davon überzeugt, daß die öffentliche Meinung für ein derartiges 
Arrangement noch nicht reif ist. Die Gründe dafür lassen sich leicht in 
unseren früheren politischen Kämpfen und in der augenblicklichen politischen 
Entstellung finden. Wenn nun dieser Teil der fiskalischen Reform augen- 
blicklich noch nicht im Bereich der praktisch durchführbaren Politik liegt, 
dann haben Sie sicherlich recht, wenn Sie raten, ihn nicht als untrennbar 
von dem anderen Teil der fiskalischen Reform (der Retorsion) zu betrachten, 
dem wir beide Bedeutung beimessen und den, wie wir glauben, das Land 
ohne Vorurteil zu erwägen schon jetzt bereit sein wird. Es tut mir trotz- 
dem sehr leid, daß Sie diese wohl begründete Schlußfolgerung als eine 
solche betrachten, die es Ihnen im Hinblick auf Ihre besonderen Verhält- 
nisse erschwert, Mitglied der Regierung zu bleiben. Ich will aber nicht 
versuchen, in einer so rein persönlichen Angelegenheit irgendwelchen Einspruch 
zu erheben. Wie könnte ich Ihren Entschluß kritisieren, wenn Sie denken, 
daß Sie den Interessen der imperialen Einigung für die Sie so viel getan 
haben, am besten dienen können, wenn Sie Ihre Anschauungen über die 
koloniale Bevorzugung mit derjenigen Freiheit vertreten, die in einer 
unabhängigen Stellung möglich ist, die sich aber mit einem Amte kaum 
vertragen würde. Der Verlust, den die Regierung durch ihren Rücktritt 
erleidet, ist in der Tat ein großer, aber der Gewinn für die Sache, die 
Sie ins Herz geschlossen haben, wird vielleicht ein noch größerer sein. Ist 
das aber der Fall, was könnte ich dann anders tun als einwilligen? Ihr 
aufrichtig ergebener Balfour. P. S. Darf ich Ihnen noch aussprechen, wie 
sehr es mich aus persönlichen und dienstlichen Gründen befriedigt, daß Mr. 
Austen Chamberlain (der Generalpostmeister, Joseph Chamberlains Sohn) 
bereit ist, Mitglied der Regierung zu bleiben? Es könnte kein besserer 
Beweis dafür gegeben werden, daß Ihrer und meiner Ansicht nach das 
Fallenlassen der Lebensmittelverzollung unter den augenblicklichen Umständen 
süch beste Mittel ist, um die Sache der zollpolitischen Reform praktisch zu 
ördern.“ 
September. Demission von Ministern. 
Kolonialminister Chamberlain, der Minister für Indien Lord Ha- 
milton und der Schatzkanzler Ritchie treten zurück (15.—17. September). 
Ritchie motiviert seinen Rücktritt in einem Schreiben an Balfopr folgender- 
maßen: Nach dem, was gestern im Kabinettsrat geschehen ist, ist es mir 
unmöglich, Mitglied der Regierung zu bleiben. Ich sympathisiere durch- 
aus mit dem Wunsche, das Mutterland mit den Kolonien enger zu ver- 
knüpfen, aber ich weiß von keiner anderen Methode, den Kolonien eine 
Vorzugsbehandlung einzuräumen, als derjenigen, die der Kolonialsekretär 
angeraten hat, nämlich einen Zoll auf Lebensmittel, welcher eine Vermeh- 
rung der Besteuerung bedeutet. Dagegen bin ich entschieden. Ich würde 
gern jeden brauchbaren Plan erwägen, um besseren Zugang zu den Aus- 
landsmärkten zu gewinnen oder den Uebelständen zu begegnen, über die 
wir Klage führen, aber es war uns kein solcher Plan vorgelegt worden. 
Ich fürchte, daß jeder auf Vergeltungszölle gerichtete Plan, wenn auch 
unbeabsichtigt, doch unvermeidlich zum Schutzzoll führen und noch weit 
größere Uebelstände hervorrufen wird als diejenigen waren, die man zu 
 
	        
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