Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

278 Frankreicz. (Januar 26.—30.) 
26. Januar. 4. Februar. (Kammer.) Erklärung der Regie- 
rung über das Konkordat, Religion, Unterricht. 
Auf einen Antrag, das Konkordat zu kündigen und das Kultus- 
budget zu streichen, erwidert Ministerpräsident Combes: Die Frage der 
Kündigung des Konkordats und der Streichung des Kultusbudgets könne 
nicht gelegentlich der Etatsberatung erörtert werden. Die Kammer würde, 
wenn sie die Trennung des Staates von der Kirche beschließen sollte, die 
Republik in eine große Verlegenheit bringen. Die Regierung sei der An- 
sicht, daß das Konkordat beibehalten werden müsse, weil sie die religiöse 
Idee heute noch für nötig halte. (Lebhafter Widerspruch auf der äußersten 
Linken.) Jedenfalls würde eine Trennung des Staates von der Kirche 
ernste Schwierigkeiten im Gefolge haben, so daß eine solche Trennung für 
jetzt unausführbar sei. 
Der Antrag wird abgelehnt mit Hilfe der konservativen Opposition 
gegen einen großen Teil der Regierungspartei (314 gegen 194 Stimmen). 
Am 4. Februar verlangt Carnaud (Soz.), daß der Unterricht in 
der Moral, der in den Schulen erteilt wird, von jeder religiösen Idee 
freigehalten werde. Ministerpräsident Combes erwidert, die Worte, welche 
er vor kurzem über diesen Punkt gesagt habe, seien anscheinend falsch aus- 
gelegt worden. Er wolle daher ihren genauen Sinn nochmals feststellen. 
Er habe niemals gesagt, daß der moralische Gedanke, der in den Schulen 
gelehrt werde, an und für sich nicht genüge, wenn er sich nicht auf das 
Dogma stütze. Er habe stets der republikanischen Regierung dafür besondere 
Anerkennung gezollt, daß sie den Unterricht auf die Vernunft und die 
Solidarität gegründet habe. Frankreichs Sittenlehre sei um so edler, als 
sie sich auf die ewig währenden Begriffe der Gerechtigkeit, des Rechtes und 
der Pflicht gründe. Man habe die von ihm dargelegte Ansicht gegen ihn 
ausnutzen wollen. Er konstatiere, daß man die persönlichen Anschauungen, 
welche man im Senat entwickeln könne, in der Kammer nicht vorbringen 
könne. Unter diesen Umständen werde er sich dessen künftig enthalten. 
27. Januar. (Kammer.) Bericht über das Militärbudget. 
Referent Dep. Maujan empfilt die Einführung der zweijährigen 
Dienstzeit mit einmonatigem Urlaub jährlich, so daß der Dienst im ganzen 
22 Monate dauern würde. Dies würde gestatten, auch die nur halb taug- 
lichen Leute einzuberufen, die alsdann die übrigen vom Arbeitsdienste ent- 
lasten und diesen die Möglichkeit geben würde, ausschließlich dem Dienste 
mit der Waffe sich zu widmen. Auf diese Weise würde man in Friedens- 
zeiten 600000 Mann unter den Waffen haben, die auf 20 Armeekorps 
sich verteilen; jedes Regiment würde 4000 Mann stark sein. Im Kriegs- 
falle würde die französische Armee sofort beim ersten Anprall dank den zur 
Verfügung stehenden Reservisten über eine Million Mann verfügen. Der 
Berichterstatter spricht sich für eine entsprechende Vermehrung der Geschütze, 
sowie für eine durchgreifende Reform der Kavallerie aus, von welch’ letz- 
terer eine berittene Infanterie gebildet werden solle, und zwar eine solche 
auf Pferden oder auf Zweirädern. 
30. Januar. (Poitiers.) Ein General und drei Obersten 
werden versetzt, weil ihre Frauen und Töchter als Verkäuferinnen 
an einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten kongreganistischer 
Schulen teilgenommen haben. Der Minister betrachtet diesen Vor- 
gang als politische Kundgebung.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.