298 Italien. (Februar 23
und das Land ist auch weiterhin in einer Weise verwaltet worden, welche
ich mich zu beurteilen enthalten will. Ein solcher Zustand mußte die Un-
zufriedenheit in verhängnisvoller Weise verschlimmern und zugleich zu
Bestrebungen anstacheln, deren unvermeidliche Wirkung die gegenwärtigen
Wirren in Mazedonien und Bulgarien gewesen sind. — Italien war seine
Rolle bei dem Werk der Diplomatie durch sein Recht als Mitunterzeichner
der Verträge, welche die Lage im ottomanischen Reich regelten, wie auch
durch seinen festen Willen, zur Erhaltung des Friedens beizutragen, klar
vorgeschrieben. Die italienische Regierung hat es niemals an der Erfül-
lung ihrer Aufgabe mangeln lassen. Niemals hat man in Konstantinopel,
Sofia oder sonstwo einen Ratschlag oder eine freundschaftliche Warnung
erteilt, ohne daß Italien seine Stimme mit der der Mächte vereint hätte,
da man immer die gleichen Absichten für die Ordnung und den Frieden
hegte. Leider ist keine Maßnahme zur Besserung der kritischen Zustände
ergriffen worden, unter denen die europäischen Provinzen der Türkei heute
immer noch leiden. Allerdings hat die Pforte vor kurzem aus eigener
Initiative ein Reglement für die mazedonischen Vilajets aufgestellt, wobei
ein hoher Beamter mit der Ueberwachung der Durchführung derselben be-
traut und einer Kommission die besondere Aufgabe übertragen wurde, die
Berichte zu kontrollieren, welche die Valis und der erwähnte Inspektor
selbst an sie richten würden. Indessen sind diese Reformen in den Augen
der Mächte nicht von der Art erschienen, um dem Uebel abzuhelfen, das
sich seither nur noch verschlimmert hat. Wir haben es daher mit Freuden
vernommen, daß bei der vor kurzem erfolgten Zusammenkunft von den
Ministern des Aeußern Oesterreich-Ungarns und Rußlands die Initiative
zu einem Progromm ergriffen wurde, das zu den vom Sultan bereits
angeordneten Besserungsmaßnahmen Reformen mit praktischer Wirksamkeit
hinzufügen soll. Ueber das in Wien von den beiden Ministern beschlossene
Vorgehen war uns vorher Mitteilung gemacht worden, und so waren wir
in der Lage, uns zu vergewissern, daß dasselbe unseren eigenen Anschau-
ungen durchaus entsprach, so daß, als das Programm von den Botschaftern
der beiden Reiche in Konstantinopel in der Form spezieller Vorschläge über-
reicht wurde, wir im stande waren, ohne Verzug unsere volle Zustimmung
bekannt zu geben. Die vorgeschlagenen Reformen beziehen sich auf die sog.
makedonischen Vilajets Kossowo, Monastir und Salonichi, wo die Agitation
eine außerordentlich lebhafte ist, während man, soweit die politische Lage
in Albanien in Betracht kommt, in dem zwischen Wien und Rom getrof-
fenen Abkommen eine sichere Garantie für die Aufrechterhaltung des
status quo erblicken darf. Die nächste Zeit ist sicher von entscheidender
Bedeutung für den türkischen Osten. Wir wollen wünschen, daß sie glück-
lich abläuft. Wenn, wie man hofft, die bulgarische Regierung in der
Lage ist, nach ihrem Vorhaben mit fester Hand den Herd der Agitation
im Fürstentum zu unterdrücken, die, indem sie das Werk der Diplomatie
hemmt, das Land den ernstesten Verwicklungen aussetzen könnte, und wenn,
woran wir nicht zweifeln, die Pforte in angemessener Zeit die von ihr in
aller Form Europa gegenüber eingegangenen Verpflichtungen erfüllt, so
wird die augenblickliche Krisis zu einer Lösung gebracht werden können,
welche der Bevölkerung des Balkans Ruhe und Frieden wiedergeben könnte.
Dieses Ziel erstreben alle Mächte. Es handelt sich um ein Werk weiser
Politik und gleichzeitig um ein Werk im Sinne hoher Humanität und
Zivilisation, von dem sich Italien unmöglich trennen kann. Sollte aber
wider Erwarten eine gemeinsame Aktion der Mächte trotz ihrer entschie-
denen Entschlossenheit zur Aufrechterhaltung des Friedens einen ungün-
stigen Ausgang der Ereignisse nicht verhindern können und sollte der Brand,